Die Zufriedenheit

[31] Ein Geist, der sich zu keiner Zeit

In feiger Ungedult verlieret,[31]

Und stets die Weisheit hört, die, wie das Glück uns führet,

Den Pfad mit Rosen überstreut.


Ein solcher Geist ist stets beglückt,

Und sucht nicht Hülf in fauler Klage,

Und braucht in Fröhlichkeit auch selbst die trüben Tage,

Die ihm des Himmels Vorsicht schickt.


Was schilt man dessen Tyranney?

Von ihm kommt unser wenigst Leiden.

Kein Zustand ist so hart; ein Chor der stillen Freuden

Gesellt sich ihm mitleidig bey.


Bestraf' ein ieder sein Gemüth,

Das auch bey nahen Qvellen schmachtet.

Vergnügen beut sich an: umsonst, es wird verachtet;

Wir wollen nichts, als was uns flieht.


Zu eckel sind wir, uns zur Pein:

Wir wollen oft nach Zephyrs Weichen,

Zur Zeit der Winterlust, in schattigten Gesträuchen,

Um murmelnd Wasser fröhlich seyn.
[32]

Der warme Frühling kommt zurück:

Dann braucht ein Weiser ihn beyzeiten.

Er läßt Vernunft und Zeit die blinden Wünsche leiten,

Vergnügt auch ohne schimmernd Glück.


Kein lärer Schein bethört sein Herz:

Er schätzt nicht bloß ein theures Lachen,

Und kann des Pöbels Wahn durch sich zu schanden machen,

Ob flöh' uns Arme Lust und Scherz.


Weil ich nicht prächtig schmausen kann,

Soll ich nicht fröhlich schmausen können?

Will Flora, für mein Haar, mir holde Rosen gönnen;

Was geht der Fürsten Pracht mich an?


Was hilfts zur Lust, wann ihre Wand

Sich in gewirktes Gold verhüllet,

Und ein Bedientenschwarm die Marmorsäle füllet,

Mit güldnen Schüsseln in der Hand?


Sieh hin, wo keine Pracht gebricht!

Man gähnt auch mitten im Gepränge.

Der Nektar Jupiters, der Speisen eckle Menge,

Die fesseln, ach! die Freude nicht.


Die Freude, des Lyäus Kind,

Entflieht unruhigen Pallästen,

Und schwärmt zur Hütte hin, wo unbeschwert von Gästen

Vertraute Freunde freyer sind.
[33]

Fleußt nicht für sie der Reben Blut,

Die Chios edle Berge schwärzen?

Auch Bacchus an dem Rhein flößt in zufriedne Herzen

Vertraulichkeit und guten Muth.


Hier läßt Lyäus nichts betrübt:

Der Gott begeistert aller Busen,

Und läßt den Satyr los, und lädt die muntern Musen,

Und Amorn, der die Musen liebt.


Und Lieder der Zufriedenheit

Ertönen aus dem freyen Munde;

Bis, nach durchscherzter Nacht, die kühle Morgenstunde,

Die Schatten und den Schmaus zerstreut.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 31-34.
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