Elegie auf einen Dorfkirchhof

[34] (Keine Nachahmung des Gray, sondern nur eine Ausführung derselben Idee)


Mit dem letzten Schall der Abendglocke,

Die den jungen Maytag

Weinend jetzt zu Grabe läutet, wandle

Ich in diese Schatten.


Vor mir schwimmt die bunte Frühlingslandschaft

Schon im Dunkel; Luna

Tritt entschleyert aus den Wolken, mischet

In die Schatten Silber.


Wie die Königinn mit voller Wange

Durch die Linde lächelt,

Wo ich sitze, und die Epheuranken

Dort am Kirchthurm malet!


Scene, welche vor mir lieget, gieße

Wehmuth mir zum Busen!

Süße Ruhe schlinget hier die Arme

Um des Landmanns Urne.


Welch Gemisch von grünen Leichenhügeln!

Gelbe Blümchen breiten

Teppiche darüber, wilder Wermuth

Ueberragt die Hügel.


Flittergold und rothe Bänder rauschen

Von den schwarzen Kreuzen,

Welche Gräber zeichnen, wo ein Jüngling,

Wo ein Mädchen schlummert.
[34]

Am Geschwätz des Baches, auf den Matten

Flogen ihre Füße

Oft im Tanze, wenn ein alter Bergmann

Auf der Cyther spielte.


Mit dem Blumenstrauße vorn am Busen

Hüpfte dann das Mädchen

Durch die Veilchen. Junger Buchsbaum nickte

An des Jünglings Hute.


Sie umtanzten, wenn die blanken Sicheln

Nicht mehr in den Furchen

Rauschten, ihren Aerntekranz, und sangen

Ihres Herzens Regung. –


Graue Leichensteine ragen einzeln,

Rund mit Moos bewachsen,

Und mit Todtenköpfen, Stundengläsern,

Engeln ausgeschmücket.


Keine Inschrift, die von Ordensbändern,

Langen Ehrentiteln,

Die von Ahnen und von Würden strotzet,

Rufet hier den Wandrer.


Wenig Zeilen, die den grauen Sandstein

Ueberfüllen, melden

Wer hier ruhet: Greise, treue Väter,

Tugendhafte Mütter.


O was nützt der Marmor? Schläft man etwan

Einen süßern Schlummer

Unter Ehrensäulen, als der Landmann

Unter seinem Rasen? –
[35]

Diese kleinen Leichenhügel decken

Kinder. Eh' die Knospe

Ihrer Kindheit sich entfaltet, wurden

Sie des Grabes Beute.


Auf den goldnen Schlüßelblumenglocken,

Die die Gräber kränzen,

Blinken oft die Zähren ihrer Mütter;

Warme, treue Zähren!


Sie verhüllen – o die guten Mütter! –

Oft die feuchten Augen

In die Schürze, wenn sie wider Willen

Diese Hügel sehen.


O die guten Kinder! Sie durchhüpften

Oft den Garten, flochten

Sich von jungen Gänseblumen Kronen,

Kränzten ihre Haare.


Frölich raubten sie dem Vater Küße

Von den braunen Wangen,

Wenn er sie, voll Zärtlichkeit beym Heerdfeu'r,

Auf den Knieen wiegte. –


O ihr Blümchen und ihr Wermuthstauden,

Deckt oft beßre Herzen,

Größre Geistesgaben, als der Marmor

Mit der Heroldsstimme.


Mancher, deßen keimende Talente

Nie zur Reife kamen,

Ruht vielleicht hier unter diesen Kreuzen,

Unter diesen Rasen.
[36]

Mancher, der mit kühnen Saitengriffen,

Feuer in der Seele,

Dich, o Tugend, dich, o Blumengeber,

Lenz, besungen hätte!


Schlummert sanft, ihr frohen Dorfbewohner,

Hier um eures Tempels

Gothisches Gebäude! Winkt, ihr Gräber,

Mir oft süße Schwermuth!
[37]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 34-38.
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