Der Kampf um Silistria.

[142] Das Schlußspiel an der Donau sollte das zitternde Europa auf die Schreckenstragödie in der Krimm vorbereiten.

Silistria war das blutige Morgenroth der Tage von Sebastopol.

Wir haben die Übergänge der Russen über die untere Donau nach der Dobrudscha und das Andringen der einzelnen Corps gegen Silistria unsern Lesern bereits gezeichnet. Einen kurzen Aufenthalt gewährten die für die Türken nicht blos glücklichen, sondern selbst glorreichen Gefechte von Kastelli, Küstendsche und Tschernawoda, das Letztere am 25. April; aber wie groß auch die Verluste und Opfer der Russen bei ihrer Besetzung der Dobrudscha waren, der fast allmächtige Wille, der dies Volk beherrscht und als bloße Masse für seine Zwecke verwendet, fragte nicht nach diesen Opfern, und die Massen drängten, den Tod in den eigenen Reihen, vorwärts bis zum Trajanswall.

Die Anstrengungen und die Preise, welche die Besetzung der Dobrudscha forderte, waren kolossal. Ein ungeheurer Train von Kibitken und schweren Lastwagen mußte den Truppen in dies wilde, nur vom flüchtigen Tataren und Kosaken, den Adlern, den Trappen, den wilden Gänsen und Schwänen bewohnte Land folgen, auf dessen 200 Quadratmeilen kaum 20,000 Einwohner kommen, dem trotz der Sümpfe und Moräste das belebende Element des Wassers fast ganz zu fehlen scheint. So weit das Auge trägt, sieht man nirgends einen Baum oder Strauch; die stark gewölbten Hügelrücken sind mit hohem, von der Sonne gelb gebranntem Grase bedeckt, das der Steppenwind in Wellen schlägt; weite Strecken reitet man über die einförmige Wüste, bevor man ein elendes Dorf[143] ohne Gärten, ohne Bäume, in einem wasserlosen Thal entdeckt. Der Mensch hat den Menschen aus jenen unwirthbaren Gegenden verscheucht, und sie sind dem Reich der Thiere anheimgefallen.

In ungeheuren Zügen kam und ging dieser Train, neue Provisionen holend und Hunderte von Verwundeten, Tausende von ruinirten Waffen, Monturen und Rüstzeugen zurückschleppend. Die Zahl der Verwundeten und Kranken überstieg zu Ende April bereits 2600, bei Karassu allein gab es über 500 Blessirte; die Zahl der Todten betrug über 3000. In Braila, Gallacz und Reni wurden zu den bereits bestehenden sieben Lazarethen neue improvisirt, so gut es gehen wollte. Die Ambülancen füllten sich Tag für Tag dermaßen, daß die Transporte nach Hirsowa, Matschin und zum linken Donauufer täglich zwei Mal erfolgen mußten. Aber nicht bloß der Verlust an Menschenleben war ungeheuer, die Erfordernisse an Pferden, Bagage und Munition waren noch kolossaler.

Auf den Befehl des Feldmarschalls rückte zu Anfang Mai das Corps des General Lüders, am 6. Rassowa nach hartem Kampfe nehmend, aus der Dobrudscha gegen Silistria vor. Am 12., 13., 14. und 15. kam es zu heftigen Gefechten, und die Generale Engelhardt und Grotenhjelm, die Avantgarde des Corps bildend, drängten die Türken in die Festung zurück und schlossen diese von der Ostseite ein.

Die Operationen von jenseits der Donau gegen Silistria hatten bereits am 5. April begonnen; General-Lieutenant Chruleff, der tapfere Führer der fliegenden Corps in Polen und Ungarn, der im Sommer 1855 sich noch berühmt machte durch den Zug in die Kirgisen-Steppe gegen die Kotanzen und den Sturm auf die Feste Ak-Metschet, leitete die Belagerungsarbeiten. Nachdem sich die Russen der drei Donauinseln Olbina, Tarbaneki und Rakinski bemächtigt hatten, eröffnete der General am 22. aus den auf dem linken Ufer und den Inseln errichteten Brustwehr-Batterien mit 70 Kanonen ein heftiges Feuer gegen die Donaufront der Festung, die Batterieen auf den noch im Besitz der Türken befindlichen drei andern Inseln und die vorgeschobenen Werke am rechten Ufer. Da aber die Kanonen der Letzteren den hier etwa 1000 Schritt breiten Fluß beherrschten, konnte der beabsichtigte Übergang nicht stattfinden, bis die bereits oben erwähnte Operation des Lüder'schen Corps von der Dobrudscha her vollständig erfolgt war. Ein langandauerndes[144] heftiges Regenwetter hatte diese Operationen verzögert, am 14. Mai erst stand die russische Avantgarde in Kütschück-Kainardscha, auf der Straße nach Basardschik und Varna, die Festung von dieser Verbindung abschneidend und die Türken in ihre östlichen vorgeschobenen Werke zurückdrängend.

Am 15. unternahmen Fürst Paskiewitsch und Fürst Gortschakoff eine persönliche Recognoscirung am linken Ufer und der Letztere ertheilte nach der Rückkehr nach Kalarasch alsbald den Befehl, mit dem Schlagen der Brücke vorzugehen.

Unter einem heftigen Bombardement der Stadt vom linken Ufer und den Inseln her vollzog General Chruleff den Auftrag, und zum ersten Male hatte hier der Ingenieur-Capitain Tottleben Gelegenheit, durch die zweckmäßige Anlage der Brücke unterhalb der Stadt, zwischen dieser und dem Dorfe Ostrow und außer dem Bereich der türkischen Batterien sich auszuzeichnen. Am 18. Mai war die Brücke vollendet. Sie bestand aus zwei Abtheilungen für Kavallerie und Infanterie, mit einer Überfuhr für Geschütze. Fürst Paskiewitsch ging an demselben Tage mit seinem Generalstab über die Donau. Ihm folgten 20 Infanterie-Bataillone (die ganze 8. Infanterie-Division unter General-Lieutenant Silvan und das ochotzkische Jäger – Regiment von der 11.), drei Compagnieen Sapeure, das woßnessenskische und olviopolskische Ulanen-Regiment von der 4. leichten Cavallerie-Division, drei Sotnien donische Kosaken, 6 Batterieen Fuß Artillerie und zwei berittene, im Ganzen 88 Geschütze mit dem Belagerungstrain. Das Corps des General Lüders auf der Südostseite der Stadt zählte 35 Infanterie-Bataillone, (die 9. Infanterie-Division und Abtheilungen der 11. und 15.), das lithauische Ulanen – Regiment »Erzherzog Albrecht« und das vollhynische »Großfürst Constantin«, 2 Kosaken-Regimenter und 104 Geschütze.

Sofort begannen die Russen die Tracirung der Belagerungslinie von der Landseite und das Aufwerfen der Trancheen.

Zugleich sollten nach dem Plan des Feldmarschalls 30,000 Mann bei Oltenitza auf einer dort geschlagenen Brücke nach Tuturkai übersetzen und gegen Rasprad vorrücken, somit die Verbindung Silistria's mit dem 10 Meilen entfernten Schumla, dem Hauptquartier des Sirdars, unterbrechend. Diese Operation mißglückte, denn der Übergang wurde von den Türken glücklich gehindert und die Brücke gesprengt. Ungefähr 60,000 Mann cernirten[145] demnach jetzt Silistria auf drei Seiten und nur die Verbindung im Südwesten und Westen der Stadt, nach Schumla und Rustschuk, war noch frei.

Bereits bei dem Übergang am 16. hatte der Feldmarschall einen Parlamentair an Mussa-Pascha, den Kommandanten Silistria's, geschickt, ihn zur Übergabe aufzufordern. Die Türken wiesen dieselbe zurück und am 19. begann von der Landseite aus die Beschießung der Festung aus den zwischen den Weinbergen gegen die östlichen Vorwerke vorlaufenden Trancheen. In der Nacht zum 22. wurde die zweite Linie derselben eröffnet und General Schilder sprengte mit Glück von der Donauseite eine gegen die Müftiereh-Bastion gerichtete Miene, obschon das Fort selbst wenig Schaden nahm.

Noch ein Mal wurden jetzt Unterhandlungen eröffnet, und Mussa-Pascha, um Zeit zu gewinnen, verlangte eine Frist bis zum 26., die jedoch nur bis zum 24. bewilligt wurde. An diesem Tage stürmten die Russen die östlichen Werke, wurden jedoch mit bedeutendem Verlust zurückgeworfen. Seitdem dauerte die heftige Kanonade ununterbrochen fort.

Wir müssen Silistria selbst und den Vertheidigungsanstalten der türkischen Festung noch eine kurze Beschreibung widmen.

Silistria bildet die Spitze eines fast gleichschenklichen Dreiecks, dessen Basis die Linie Schumla-Barna vorstellt, und dessen Ostseite Front gegen die Dobrudscha und die Straße über Basardschik nach Varna macht, wie die Westseite gegen Rustschuk und die von da an die Balkan-Pässe ziehenden Wege. Die Entfernung nach Tschernawoda beträgt 10, nach Varna 18, nach Schumla 12, nach Rustschuk 15 Meilen, ein Terrain, das vollständig innerhalb der Wirkungssphäre einer starken Garnison wäre. Hierdurch begreift sich die Bedeutsamkeit Silistria's für die russichen Operationen, die ohne den Besitz der Festung der Sicherheit ermangelt hätten. Diese Wichtigkeit der Position wurde auch in allen früheren Kriegen anerkannt. Im Jahre 1809 wurde die Festung vergeblich belagert, 1810 aber nach nur fünftägigem Widerstand von General Langeron erstürmt. Damals wurde Silistria von den Russen geschleift, später von den Türken aber wieder aufgebaut und bedeutend vergrößert. Im Feldzug von 1828 fesselte es die Russen 4 Monat vor seinen Mauern, ohne daß sie es zu erobern vermochten, und auch nachdem Varna gefallen, bildete es ein wichtiges Hinderniß,[146] und der Feldzug des Jahres 29 mußte mit einer Belagerung des an und für sich nicht starken Platzes begonnen werden, die auch damals General Schilder leitete und welche 43 Tage dauerte.

So wichtig die Lage Silistria's in strategischer Beziehung, so ungünstig ist sie es in fortificatorischer, indem die Südseite durch das 200 Fuß hohe Balkanplateau beherrscht wird, das bis auf 1500 Schritt an den Hauptwall herantritt und dem Belagerer zur terrassenförmigen Aufstellung seiner Geschütze Gelegenheit giebt. Man übersieht von hier aus das ganze Innere der Stadt. Die drei östlichen und zwei westlichen Fronten werden von dieser Höhe aus bestrichen, und da, wie bereits erwähnt, das Donaubett nur 1000 Schritt breit, kann auch die Wasserfront von dem gegenüberliegenden Ufer beschossen werden. Die Stadt selbst bildet einen Halbkreis von etwa 2000 Schritt Länge in Form eines Zehnecks, jede der Fronten ist 550 Schritt lang, und zwar befinden sich vier Bastionen auf der Donauseite, drei auf der östlichen, zwei auf der westlichen. Das östliche Thor ist von den Außenwerken Tschengell- und Limân-Labiassi gedeckt. Zur Sicherung der zwei Thore auf der Landfront nach Schumla und Basardschick wurde bei Beginn des Krieges die bisher sehr unvollständige, aus unbedeutendem Erdwerk bestehende Vertheidigung durch Anlegung eines festen Forts auf der Höhe Oskardscha zwischen beiden Straßen vermehrt, das zugleich die Gefahr der Beherrschung vom Plateau aus paralysiren sollte. Unter Leitung eines früheren preußischen Offiziers, des Artillerie-Capitains Grach ward diese durch dreifaches Mauerwerk aus Felsengestein hergestellte Nebenfestung, die den Namen Abdul Medjid erhielt, binnen 8 Monaten hergestellt, indem man Tag und Nacht daran arbeitete.

Durch zwei Thürme – Arab-Tabia und Yania – flankirt und mit 60 Kanonen bewaffnet, bildete das Fort jetzt mit dem festen Stadtschloß die Hauptvertheidigung der Festung, nach welcher der Besatzung die Rückzugslinie vom Fort durch eine Reihe von Batterieen gedeckt war, von deren letzter ein unterirdischer Gang zur Festung führte. Die Ringmauern der Stadt sind ziemlich niedrig, das Glacis hinter dem 12 Fuß tiefen, 30 Fuß breiten Graben wird von der 20 Fuß starken Brustwehr des Hauptwalls nur um 8 Fuß überragt. Dies wann die Hilfsmittel der tapfern Vertheidigung von Silistria.

Am 25. Mai endlich erhielt General-Lieutenant Pawloff, der,[147] wie erwähnt, von Oltenitza aus bisher vergeblich den Übergang versucht und nur eine zwischen beiden Ufern liegende Insel besetzt hatte, die Nachricht, daß die Türken sich von Tuturkai zurückgezogen, und bewirkte am 26. seinen Übergang, so daß nunmehr auch die Verbindung mit Rustschuk abgeschnitten werden konnte.


Es war am Mittag des 28. Mai – eines Sonntags – als die Geschütze der russischen Batterieen, die während des ganzen Morgens gespielt und einen wahren Hagel von Bomben und Vollkugeln auf die Werke der Ostseite und bis in die Stadt geschleudert hatten, eine kurze Pause machten. Von dem Babadagh-Thor her, vor dem die hart bedrängten, vorgeschobenen Forts Tschengell-Labiassi und Limân-Labiassi1 liegen, kam in eifrigem Gespräch eine Gruppe von Offfzieren, von denen mehrere auch ihrer Kleidung nach Europäer waren. Der Eine von ihnen trug die Uniform der Zuaven, jenes berühmten Corps, das in diesem Augenblick auf den blauen Wellen des mittelländischen Meeres seine Überfahrt nach Gallipoli und Varna vollendete, – eine hohe prächtige Gestalt von soldatisch-kühnem ernstem Gesicht; – zwei Andere waren offenbar Engländer, der Eine in der Uniform eines Capitains der schottischen Garde, der Andere in Civil.

»Hussein-Aga,« sagte der ältere Türke zu seinem Begleiter, »schwört beim Propheten, daß er die Schanzen gegen den nächste Sturm der Moskaws zu halten vermag. Sage mir Deine Meinung, Jüs-Baschi.«

»Ich vermag Dir nur zu wiederholen, Mehemed-Bey, was ich bereits dem Pascha berichtet und was mir diese Herren bestätigen. Der Aga kann die Forts nicht länger als einen Tag noch halten. Die Trancheen des Generals Schilder sind uns bis auf halbe Büchsenschußweite nahe.«

»Wir werden sie heute oder morgen mit Allah's Hilfe zerstören.«

»Ich zweifle nicht an unserm Sieg, Bey, aber er kann uns[148] Nichts nützen. Unsere Hilfe muß von Schumla oder Rustschuk her kommen.«

»Wallah!« sagte ärgerlich der alte Türke, »Du weißt, o Brennibor2, was uns gestern dieser Hund von Jude gemeldet hat. Die Russen sind bei Tuturkai über die Donau gegangen. Was thun wir mit diesen Franken, wenn sie müßig stehen in Varna und Gallipoli. Ich spucke auf ihre Hilfe und bin selbst ein Mann.«

Der Capitain lachte.

»Lasse solche Worte die Herren an unserer Seite nicht hören, Bey, und bedenke, daß gerade die Franken, meine Landsleute, diese Wälle und Forts gebaut haben, mit deren Hilfe wir jetzt den Russen widerstehen, zu Deinem eigenen Ruhme, der Du doch Genie-Director von Silistria bist, während Du recht wohl weißt, daß Du kein Dreieck von einem Quadrat zu unterscheiden verstehst.«

»Wissen Sie, Herr Kamerad,« fragte der französische Offizier in seiner Sprache, »was die Botschaft des Pascha's bedeuten soll?«

»Einen Ausfall, hoffe ich, es ist unbedingt nöthig, daß wir uns Luft auf dieser Seite verschaffen. Ich wünschte, wir hätten dazu einige Compagnieen Ihrer Zuaven hier, von deren Tollkühnheit wir so viel gehört haben.«

»Sie werden zur Stelle sein, wenn es gilt und der Kaiser befiehlt, Herr Capitain. – Da ist der Pascha.«

Die vier Offiziere näherten sich dem Kreise, der sich auf dem Platze an der Moschee der Barmherzigkeit um Mussa-Pascha, den tapferen Kommandanten von Silistria, gebildet hatte. Er bestand aus fast allen oberen Offizieren der Besatzung, die in diesem Augenblick der Dienst nicht auf den Wällen gefesselt hielt, und schien mit einer Art von Kriegsrath beschäftigt. Neben dem Pascha standen der uns bereits bekannte Capitain Depuis, Muglis-Bey, der Anführer der Redifs, und Kiriki-Pascha, der Führer der Baschi-Bozuks.

Der französische Offizier, der so eben von den Schanzen hinzu kam, nahm offenbar eine geachtete Stellung ein, denn man machte ihm und seinen Begleitern sogleich Platz.

Der Pascha hielt eine Depesche in der Hand, ihm zur Seite stand ein türkischer Knabe von klugem, verschmitztem Aussehen,[149] dessen Lebhaftigkeit jedoch durch den Anschein von Gleichgültigkeit unterdrückt wurde.

»Monsieur le Colonel,« sagte der Kommandant höflich zu dem Franzosen, »ich habe Sie bei der Unterbrechung des Feuers hierher bitten lassen, weil mir vor einer Stunde eine Depesche von Schumla überbracht worden ist, welche auch ein Schreiben für Sie enthält und die unsere ernste Erwägung fordert. Ihre Nachrichten stimmen wahrscheinlich mit den meinen überein?«

Der Zuaven-Colonel – Vicomte de Méricourt – hatte seine Depesche geöffnet:

»Man trägt mir auf, dahin zu wirken, daß die Garnison sich so lange als möglich hält. Eine combinirte Bewegung zum Ersatz der Festung ist vor Mitte des nächsten Monats nicht möglich, da Ihre Truppen zum Theil an der Aluta engagirt sind, und Rustschuk selbst noch fortwährenden Angriffen ausgesetzt ist. Für jene Zeit wird jedoch eine Diversion zugesagt.«

»Ich muß noch eher Beistand haben wenigstens eine Verstärkung der Besatzung und eine Zufuhr von Proviant,« sagte mißmuthig der Pascha. »Sie kennen die unglücklichen Verhältnisse und daß unsere Vorräthe in Cadassia lagern.«

»Es war eine Thorheit ohne Gleichen,« warf Capitain Depuis ein.

»Was soll ich sagen, – es ist nun ein Mal so und wir haben kaum noch für 20 Tage Lebensmittel in der Stadt. Man meldete mir, daß die vorgeschobenen Werke am Babadagh-Kapussi nicht länger gehalten werden können, trotz der Alles vernichtenden Tapferkeit unsers Aga's. Mein Genie-Director, Mehemed-Bey, ist jedoch anderer Meinung.«

»Dein Genie-Director, Pascha,« sagte brüsk der englische, Offizier, »ist ein Esel! Die Meinung des Capitain Grach hier ist vollständig die unsere. Die Werke sind kaum 24 Stunden mehr zu halten.«

Der alte Bey schaute höchst gleichmüthig zu der Artigkeit des Engländers d'rein und strich sich den Bart. Die Türken begannen bereits dieser Art der Behandlung seitens ihrer Verbündeten gewohnt zu werden.

»Inshallah, wie Gott will! Mein Freund Mehemed kann sich irren, und der Himmel hat Euch Franken ein scharfes Auge in solchen Dingen gegeben. Was rathet Ihr mir zu thun?«[150]

»Ich habe bereits über den Fall mit den kommandirenden Offizieren der Forts gesprochen,« sagte der Colonel, »und unserer Aller Meinung ist, daß durch einen kräftigen Ausfall in dieser Nacht die Arbeiten der Russen gestört werden könnten und Hussein-Aga Zeit erhält, morgen die vorgeschobenen Schanzen ohne Verlust zu räumen und sie unbrauchbar zu machen. Der Herr Capitain hat so vortreffliche Werke in der Nähe des Thores vorbereitet, daß der Besitz der beiden Forts den Feinden nur wenig helfen wird.«

»Ich fürchte nicht die Beschießung oder die Sturmangriffe,« sagte Capitain Grach – der türkische Artillerie-Offizier – »sondern die Minen des Generals Schilder, es ist seine Lieblingswaffe.«

»Darum müssen wir ihn möglichst fern halten. In unverhofften Ausfällen liegt die Gelegenheit, seine Arbeiten zu stören. Ich stimme für einen solchen in dieser Nacht.«

Der wilde Kiriki – dem die französische Sprache der Berathung fremd war- errieth aus den Umständen, um was es sich handle und schaute mit dem Ausdruck eines Bullenbeißers auf den Kommandanten.

»Mashallah – es sei, wie Ihr sagt, ich habe auch daran gedacht. Wir wollen einen Ausfall machen diese Nacht auf die Flanke des Feindes an der Donau. Hussein-Aga soll ihn leiten und Kiriki mit seinen Bozuks und einer Tabor des Nizams ihn ausführen. Werdet Ihr Theil daran nehmen, Effendi's?«

»Meine Befehle beschränken mich auf die Stadt,« entgegnete der Colonel.

»Ich werde Hussein-Aga begleiten,« bemerkte der englische Offizier.

»Pek äji – es komme auf Dein Haupt, – ich bin nicht verantwortlich für Dich. Ich werde meine Ordres ertheilen. Dennoch muß ich Nachricht senden an den Sirdar – unsere Lage ist schlimm.«

»Der kleine Halunke, der die Depeschen hereingeschmuggelt,« bemerkte Capitain Depuis, »kann sie wahrscheinlich auch wieder hinausbringen. Wo ist der Bursche?« –

Alles sah sich nach dem zerlumpten Jungen um, der beim Beginn der Unterredung hinter dem Pascha gestanden, doch vergeblich, denn der Bursche hatte die Gelegenheit benutzt, sich zu entfernen, bis der türkische Offizier, welcher ihn von den Außenposten[151] zum Kommandirenden geführt, berichtete, der Knabe habe ihm gesagt, daß er früher im Dienst des Frankenarztes gestanden, der kürzlich von Widdin und Schumla gekommen sei, und daß er zu diesem seinem Herrn zurückkehren wolle.

»Das ist Doctor Welland, der Oberarzt des Hospitals und mein Freund,« meinte Capitain Grach. »Ich bin im Begriff, ihn zu besuchen und werde mich nach dem Boten erkundigen.«

»Können Sie mir sagen, Sir,« fragte der englische Offizier, »ob dies derselbe Doctor Welland ist, ein geborener Preuße, der vor zwei Jahren sich in Paris aufhielt?«

»Ganz derselbe, Sir. Ich lernte ihn in den dreißiger Jahren kennen, als ich bei der Garde-Artillerie in Berlin stand, und traf ihn zu meiner Freude unerwartet hier in Silistria und in unserem Dienst wieder.«

»Er kam im vorigen Sommer von Paris.«

»Dann erlauben Sie mir, Sir, daß ich Sie begleite, ich habe seine Bekanntschaft in Paris gemacht und es wird mir Vergnügen bereiten, sie zu erneuern. Begleiten Sie uns, Maubridge?«

Der Baronet, denn dieser war der Brite in Civil, verneigte sich nachlässig, und die kleine Gesellschaft nahm, als die Dienstgeschäfte beendet waren und die Offiziere sich nach allen Seiten zerstreuten, um die Vorbereitungen des Sturmes zu treffen, ihren Weg nach dem großen Khan, in dem ein Lazareth für die Verwundeten eingerichtet worden und Doctor Welland eine kleine Wohnung angewiesen erhalten. Es waren während der Belagerung für die ganze, über 15,000 Mann betragende Besatzung nur acht Feldärzte vorhanden, von denen noch dazu drei bloße Chirurgen, und die Anstrengungen, denen sie unterworfen, daher erschöpfend.

In der dürftigen Behausung des Arztes, die am Eingang des schlechten Khans gelegen war, saßen in eifrigem, stillen Gespräch drei Personen zusammen, der Knabe Mauro – denn der kleine listige Teufel war es, welcher nach seiner Rückkehr aus dem Epirus durch den Einfluß der in Varna und Schumla wirkenden Hetäristen zum Überbringer der Depeschen an Mussa-Pascha benutzt worden, – Nursah und sein Bruder Jussuf, der Tatar der unglücklichen Mariam, den Welland, von der Kugel des corsischen Banditen verwundet in den Fischerhütten an der Bai von Kumburgas getroffen und dort bis zu seiner Genesung zurückgelassen hatte. Bei der Ankunft von Widdin hatte er ihn in Silistria[152] wiedergetroffen, wohin der Mohr, sobald er seine Kräfte wiedergewonnen, den Weg genommen, da die Festung der Ort war, wohin die erste Bestimmung des Arztes lautete und wohin er den Genesenen bestellt hatte.

Der Leser wird sich erinnern, daß der Knabe Mauro den beiden Geschwistern oder wenigstens Nursah von ihrer gemeinschaftlichen Flucht aus Constantinopel her bekannt war und es schien ein geheimes Band vorhanden, was die sich Wiedertreffenden mit einander vertraut machte. Der junge Spion hatte bei seinem Erscheinen in der Wohnung des Arztes diesem einen Brief seines Freundes Gregor Caraiskakis aus Varna gebracht, in welchem er ihm, von seiner Versetzung nach Silistria benachrichtigt, die Neuigkeiten des Tages schrieb und daß er einstweilen noch in Varna, das durch das Eintreffen der westmächtlichen Truppen zum großen Heerlager geworden war, von seinen Interessen und Geschäften zurückgehalten werde. Um sichere Kunde von dem Freunde zu erhalten, habe er den Knaben Mauro einem befreundeten türkischen Oberoffizier zum Boten angetragen. Doctor Welland, ohne auf diesen Zusammenhang viel zu achten, freute sich der Ankunft des Knaben, weil er durch ihn Nachricht von dem Freunde erhielt, hatte jedoch erst wenige Augenblicke seinen Erzählungen widmen können. So bemerkte er nicht, wie der junge Spion, nachdem er mit den Geschwistern allein war, noch einen zweiten sorgfältig in seinen Lumpen verborgenen Brief hervorsuchte und ihn an Nursah gab, der – obschon das Schreiben gleichfalls an seinen Herrn adressirt war – dasselbe öffnete und mit großer Aufmerksamkeit las, worauf die Drei alsbald jene eifrige Berathung begannen.

Durch den Eintritt der beiden Capitains und des Baronets hierbei gestört, rief Nursah seinen Herrn aus dem Lazareth herbei.

»Sie werden Arbeit bekommen heute, Doctor, mehr als gewöhnlich,« sagte, ihm die Hand schüttelnd, der Artillerie-Capitain, »und ich komme, Sie davon zu benachrichtigen und mir Ihre Anwesenheit in den Forts am Babadagh-Thor zu erbitten. Wir machen diese Nacht einen Ausfall auf die Russen und bei so blutiger Arbeit mag man wohl wünschen, die geschickte Hand eines Freundes in der Nähe zu haben. Zugleich will ich einen Kameraden bei Ihnen einführen, der bereits das Vergnügen hat, Sie zu kennen. Capitain Morton ...«

»Ich hoffe, Sie erinnern sich meiner aus Paris, Doctor.[153] Ich habe nie die Hilfe vergessen, die Sie mir in dem Duell mit dem französischen Spitzbuben leisteten, der mich am Roulette geplündert.«

»Mein theurer Sir,« sagte der Arzt erfreut und Jenem herzlich beide Hände drückend, »seien Sie mir bestens willkommen, wenn ich Sie im eigenen Interesse auch weit weg von diesem Ort wünschen möchte. Es scheint, als sei der heutige Tag dazu bestimmt, Nachricht von alten lieben Freunden, zu erhalten.«

»Erlauben Sie mir, Ihnen einen der meinen vorzustellen,« sagte der britische Offizier mit einer Bewegung nach seinem Gefährten. »Sir Edward Maubridge, Baronet, schon länger im Orient als wir.«

»Der Arzt« der bisher den Fremden nicht beachtet, wandte sich bei diesen Worten zurückfahrend nach dem Vorgestellten und begegnete dem höhnisch-kalten Blick desselben.

»Ich habe die Ehre,« sagte der Baronet ruhig, »den Herrn bereits von Smyrna zu kennen. Ich traf ihn dort in interessanter Gesellschaft.«

»Es war nicht das letzte Mal, Sir, daß Sie mich gesehen,« sprach bitter der Arzt.

»Richtig, Sir, ich vergaß! Sie secundirten am Scamander einen Freund, den Bundesgenossen von Wegelagerern und Banditen!«

»Den Bruder Ihrer rechtmäßigen Gattin, Sir!«

»Lassen wir das, wir wollen darum nicht streiten. Es wäre besser für uns Alle gewesen, Sie hätten damals meinem erstem Wunsch entsprochen. – Haben Sie von Herrn Caraiskakis gehört? Ich glaube, er ist in dem letzten Aufstand zu Constantinopel ein Opfer seiner Leidenschaftlichkeit geworden.«

Der Arzt schaute ihn finster an.

»Mein. Freund, Sir, hatte als Mann von Ehre seine Schwester zu rächen.«

Ein unbestimmtes Gefühl verhinderte ihn, zu erwähnen, daß er so eben von ihm Nachricht erhalten habe, und er hatte noch nicht Zeit gehabt, die Einzelnheiten seiner Mittheilungen zu lesen.

»Die Sache ist vorbei, lassen Sie uns nicht streiten darüber,« sagte der Baronet. »Wir sprechen vielleicht später noch über Dinge, die mich interessiren. Ich sehe, Morton und Capitain Grach werden ungeduldig.«

»In der That,« meinte der Letztere, »meine Zeit ist gemessen[154] und ich habe der Vorbereitungen noch viele zu treffen. Ich werde Sie um 9 Uhr abholen in die Festungswerke. Halten Sie Ihr Verbindezeug bereit, Doctor, und nehmen Sie einen Gehilfen mit. Es wird einen harten Tanz geben. Wie viel Verwundete hat man Ihnen von dem gestrigen Bombardement gebracht?«

»Dreiundsechszig, Capitain. Wir zählten vierzig Todte.«

»Einen Verlust von Hundert – Das passirt, aber ich fürchte, es wird schlimmer werden.«

»Mit wie viel Mann greifen Sie an, Capitain.«

»Zwei Bataillone Nizam und die Boschuks. Etwa dreitausend Mann!«

»Und die Stunde?«

»Eilf Uhr – bei Aufgang des Mondes. Depuis und der französische Offizier bleiben in den Forts am Basardschik-Thor. Auf Wiedersehen, Doctor, vor dem Kampf, ich muß zu meinen Arbeitern. Hören Sie – der Feind beginnt wieder seine Kanonade.«

Das dumpfe Dröhnen des schweren Belagerungsgeschützes erschütterte auf's Neue die Luft und die Offiziere entfernten sich eilends, wobei der Capitain ganz vergaß, nach dem Knaben weiter zu fragen, den er beim Eintritt flüchtig gesehen.

Nursah war allem in dem Gemache ab- und zugegangen während. Besuchs, indeß sich Jussuf und Mauro entfernt hielten. Diese suchte er jetzt eilig auf, während sein Herr sich mit dem Briefe des Freundes beschäftigte und über das Zusammentreffen mit dem Briten nachsann.

Nursah zog die Beiden in einen Winkel.

»Eine Stunde vor Mitternacht,« berichtete er hastig, »werden dreitausend Türken einen Ausfall gegen das Lager an der Donauseite machen. Unsere Freunde müssen benachrichtigt werden.«

»Kannst Du dem Winde die Botschaft geben?« fragte ärgerlich Jussuf. »Olmas! Es ist Nichts – die Wälle werden zu gut besetzt sein und der Zigeuner, Eblis verdamme, ihn! hat sich seit Tagen nicht blicken lassen.«

»Ich sage Dir, es muß geschehen, die Nachricht muß hinaus,« sagte der jüngere Bruder mit einer offenbaren Autorität, die er über den älteren übte. »Wofür wäre dieser Knabe uns zu Hilfe gesandt, wenn er uns in solchen Fällen nicht nützen sollte?«

»Wird das Blut der verfluchten Moslems fließen, wenn[155] ihr Unternehmen den Russen bekannt wird?« fragte mit einer teuflischen Neugier der kleine Spion.

»Haben sie Zeit, ihre Vorbereitungen zu treffen, dann kann die ganze Colonne abgeschnitten werden und ein Sturm die Wälle erobern, Kind.«

Die Augen des Knaben blitzten.

»Viele, viele! Ein ganzes Meer von Türkenblut für meinen gemordeten Oheim!« sagte er giftig. »Bringt mich nur hinaus und gebt mir Euren Auftrag, Mauro ist schnell und was er will, das thut er.«

»Von der Schnelligkeit Deiner Füße, Knabe, wird mehr als von Deinem Muthe abhängen. Wir werden wie gewöhnlich die Wälle an der Abendseite zu bewachen haben und ich vermag Dich nicht eher hinaus zu lassen, als bis die Nacht eingetreten ist. Du hast dann einen weiten Weg bis zum Lager der Russen. Schreibe Deinen Brief, Nursah, der Prophet sieht zwar übel auf mein Beginnen, aber ich habe geschworen, Dir zu gehorchen, bei Einer, die nicht mehr ist.«

Der Ruf des Arztes, der nach dem Knaben verlangte, um durch ihn von dem Freunde zu hören, trennte sie.

In einzelnen Intervallen dauerte während des ganzen Tages das Geschützfeuer der Belagerer fort, von den vorzüglich bedienten Kanonen der Festung erwidert. Der Capitain Grach war überall und in der That die Seele der artilleristischen Vertheidigung, die um so höher anzuschlagen ist, als sie einem so alten und berühmten Genie-Offizier wie General Schilder gegenüber geschah.

Die Tapferkeit der Türken in Vertheidigung fester Plätze, ja, Schanzen, ist unbestritten und oft erprobt, sie bewährte sich ebenfalls wieder glänzend hinter den Mauern von Silistria.

Es war am Abend gegen 10 Uhr, als die zum Ausfall bestimmten Colonnen sich am Babadagh-Thor zu sammeln begannen. Still und geräuschlos hielten die Reihen der Irregulairen auf ihren meist weißen Pferden hinter den Wällen, während die Bataillone des Nizams wie dunkle Schlangen durch das geöffnete Thor in die beiden vorgeschobenen Forts strömten.

Mussa-Pascha, der während seines Kommando's eine den Türken sonst sehr ungewöhnliche Thätigkeit und Einsicht an den Tag gelegt hatte, die ihn auch dem Einfluß und Rath der europäischen Offiziere zugänglich machte, war überall, seine letzten Befehle ertheilend.[156] Hussein-Aga, der Kommandeur der beiden Forts, ein wilder aber tapferer Offizier, sollte den Ausfall befehligen, den Capitain Morton mitzumachen beschlossen hatte. Die Müftirieh-Batterie, welche allein von den Schanzen an der Donau die rechte Flanke der russischen Stellung bestreichen konnte, wurde von Mehemed-Bey kommandirt, indeß hier und an den vorgeschobenen Werken die wahre Leitung dem On-Baschi Grach überlassen blieb.

Der Kommandant selbst wollte durch eine Kanonade von den südlichen Thoren und dem Abdul-Medjid-Fort her die Aufmerksamkeit des russischen Centrums und der linken Flanke beschäftigen, nachdem er vom Fort aus durch eine Rakete das Zeichen zum Angriff gegeben.

An dem hohen Bogen des Thores, durch das sich jetzt im geräuschlosen Marsch die wilde Reiter-Colonne drängte, standen die Führer, Kiriki-Pascha, ungeduldig, an die Spitze seiner Bozuks zu eilen, der französische Colonel nochmals an den Kommandanten für die Infanterie-Attaque einige Rathschläge ertheilend, und Capitain Morton, die Zügel des Pferdes in der Hand, da er unter den Reitern den Angriff mitmachen wollte, noch einige Worte mit den beiden Preußen wechselnd.

»Sie setzen sich unnütz einer Gefahr aus, Capitain,« sagte der Arzt, »von der Sie im besten Fall wenig Ruhm ernten können. Sie sollten Ihre Mission an des Pascha's Seite bedenken und Ihr Leben nicht zwecklos auf's Spiel setzen.«

»Sie sind und bleiben ein alter Moral-Prediger, Doctor,« lachte der Offizier, »vordem am Spieltisch und jetzt wieder bei der Lust des Kampfes. Ich habe eine für die andere eingetauscht und es ist Zeit, daß ich die russischen Truppen kennen lerne. Das Corps, dem wir gegenüber stehen, trägt doch nicht etwa hellblaue Uniformen?«

»Wie so? – die Uniform ist grün.«

»Dann werden Sie mich unzweifelhaft unverletzt wieder erhalten. Gefahr droht meinem Leben nur von einem hellblauen Feind. Hellblau und Weiß – Sie wissen, Doctor – ich bin ein Faulconbridge, die ihre Ahnungen haben, und auch ich habe von dem Familienvorzug profitirt.«

»Sie meinen die Erscheinung des Lords, Ihres Vaters, – was ist Ihnen begegnet?«

»Ein ander Mal davon, Doctor – der Pascha scheint fertig[157] – leben Sie wohl, meine Herren!« Er schwang sich auf's Pferd. Zugleich wandte sich der Kommandant.

»Es ist Zeit, Effendi's, – Alle auf Eure Posten, in einer Stunde erwartet das Signal. Allah gebe uns Sieg.«

Das Gedränge der Davoneilenden verschlang den letzten Gruß. Jeder nahm seinen Posten ein und nach wenig Minuten, als der Galopp des Kommandanten und seiner Begleitung verklungen war, lag tiefes Schweigen auf den Werken.

Der Pascha nahm seinen Weg innerhalb der Wälle um die Stadt, um noch ein Mal die Wachsamkeit der Mannschaften zu prüfen, ehe er seinen Posten auf den Werken an der Südseite einnahm. Die Wälle der Westseite waren von den Compagnieen besetzt, die der Kommandant bei den geringen Hilfsmitteln der Vertheidigung als eine Art Freicorps aus den Bewohnern Silistria's und dem Troß von Gesindel gebildet hatte, das mit und ohne Herrn, so wie aus Deserteuren, Abenteurern, Flüchtlingen und entlaufene Sclaven bestehend, sich in die Festungen eingedrängt hatte, und daß er wenigstens auf diese Art nutzbar zu machen suchte. Auch Jussuf, der ehemalige Courier, gehörte hierzu und stand jetzt auf einem der äußeren Posten des Walls in der Nähe des Thores von Schumla.

Es war zehn Uhr, der Mond noch nicht aufgegangen und ein leichter Sprühregen fiel von Zeit zu Zeit. Zu seinen Füßen im Schatten des Walles lag es wie ein Ball zusammen gerollt, jedem zufälligen Blick verborgen, – Mauro, der anatolische Knabe, gewöhnt an solche Unternehmungen und erst vor wenig Tagen mit Nicolas Grivas aus den blutigen Bergen Metzowo's zurückgekehrt zu dem Mann, dem ihn der sterbende Oheim zugewiesen, zu Gregor Caraiskakis nach Varna.

»Allah möge mir vergeben, wenn ich Unrecht thue,« murmelte der Courier vor sich hin, »aber es ist mein Schicksal, Mariam zu gehorchen. Was gehen mich, diese Türken an – puf, – sie sind Hunde, ich bin ein Abyssinier und meine Väter waren Christen! Jawasch – wir wollen es thun! steh' auf, Knabe, es wird Zeit für Dich!«

Der Junge sprang rasch auf die Füße:

»Ich bin fertig, Jussuf.«

»Hast Du den Weg gemerkt, den man Dir beschrieben?«

»Wie von der Hand zum Mund! ich kreuze die Straße von[158] Schumla eine Viertelstunde von der Festung und gehe dann immer nach Aufgang, bis ich an die Vorposten der Russen komme.«

»Du hast den Brief?«

»In den doppelten Sohlen meiner Pantoffeln und diese im Gürtel.«

»Und Du weißt, nach wem Du fragst?«

»Nach dem General selbst. Sorge nicht, ehe der Morgen graut, bin ich wieder an dieser Stelle.«

»Zwei Stunden nach Mitternacht stehe ich wieder auf diesem Posten. Allah oder der Gott der Christen geleite Dich. Du kannst doch schwimmen?«

»Ich tauche wie die Ratten.«

»Desto besser – eile Dich.«

Er hatte dem Knaben eine starke Seidenschnur um den Leib geschlungen und hob ihn über die Brustwehr. Halb rollend glitt der Junge über den Wall bis zu der in den Graben sich senkenden Mauer. Dort angekommen, gab er seinem Helfershelfer ein leises Zeichen, auf welches dieser die Schnur losließ. Mauro zog sie an sich, suchte, mit den Händen tappend, seinen der vorspringenden. Steine aus und befestigte hier sorgfältig das eine Ende des dünnen Strickes, da er ihm zur Rückkehr dienen sollte; dann ließ er sich leicht an ihm in's Wasser und durchschwamm die geringe Breite, bis er eine Stelle fand, auf welcher er an der anderen Seite mit Hilfe der Nägel und Zehen emporklimmen konnte, was ihm durch den hier hohen Wasserstand bedeutend erleichtert wurde. Ehe zehn Minuten vergangen waren, vernahm der Mohr das verabredete Zeichen, daß der gewandte kleine Spion in Sicherheit sei.

1

Die Werke sind größtentheils durch den Schöpfer der türkischen Artillerie, den ehemaligen preußischen Major von Kuczkowski (Muglis-Pascha) und Lieutenant Bluhm gebaut.

2

Brandenburger, Preuße.

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 3, Berlin 1856, S. 142-159.
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