Gartenspuk

[170] Daheim noch war es; spät am Nachmittag.

Im Steinhof unterm Laub des Eschenbaums

Ging schon der Zank der Sperlinge zur Ruh;

Ich, an der Hoftür, stand und lauschte noch,

Wie Laut um Laut sich mühte und entschlief.

Der Tag war aus; schon vom Levkojenbeet

Im Garten drüben kam der Abendduft;

Die Schatten fielen; bläulich im Gebüsch

Wie Nebel schwamm es. Träumend blieb ich stehn,

Gedankenlos, und sah den Steig hinab;

Und wieder sah ich – und ich irrte nicht –

Tief unten, wo im Grund der Birnbaum steht,

Langsam ein Kind im hohen Grase gehen;

Ein Knabe schien's, im grauen Kittelchen.

Ich kannt es wohl, denn schon zum öftern Mal

Sah dort im Dämmer ich so holdes Bild;

Die Abendstille schien es herzubringen,

Doch näher tretend fand man es nicht mehr.

Nun ging es wieder, stand und ging umher,

Als freu es sich der Garteneinsamkeit. –

Ich aber, diesmal zu beschleichen es,

Ging leise durch den Hof und seitwärts dann[170]

Im Schatten des Holunderzauns entlang,

Sorgsam die Schritte messend; einmal nur

Nach einer Erdbeerranke bückt ich mich,

Die durch den Weg hinausgelaufen war.

Schon schlüpft ich bei der Geißblattlaube durch;

Ein Schritt noch ums Gebüsch, so war ich dort,

Und mit den Händen mußt ich's greifen können.

Umsonst! – Als ich den letzten Schritt getan,

Da war es wieder wie hinweggetäuscht.

Still stand das Gras, und durch den grünen Raum

Flog surrend nur ein Abendschmetterling;

Auch an den Linden, an den Fliederbüschen,

Die ringsum standen, regte sich kein Blatt.

Nachsinnend schritt ich auf dem Rasen hin

Und suchte töricht nach der Füßchen Spur

Und nach den Halmen, die ihr Tritt geknickt;

Dann endlich trat ich aus der Gartentür,

Um draußen auf dem Deich den schwülen Tag

Mit einem Gang im Abendwind zu schließen.

Doch als ich schon die Pforte zugedrückt,

Den Schlüssel abzog, fiel ein Sonnenriß,

Der in der Planke war, ins Auge mir;

Und fast unachtsam lugte ich hindurch.

Dort lag der Rasen, tief im Schatten schon;

Und sieh! Da war es wieder, unweit ging's,

Grasrispen hatt es in die Hand gepflückt;

Ich sah es deutlich... In sein blaß Gesichtchen

Fiel schlicht das Haar; die Augen sah man nicht,

Sie blickten erdwärts, gern, so schien's, betrachtend,

Was dort geschah; doch lächelte der Mund.

Und nun an einem Eichlein kniet' es hin,

Das spannenhoch kaum aus dem Grase sah

– Vom Walde hatt ich jüngst es heimgebracht –,

Und legte sacht ein welkes Blatt beiseit

Und strich liebkosend mit der Hand daran.

Darauf – kaum nur vermocht ich's zu erkennen;[171]

Denn Abend ward es, doch ich sah's genau –

Ein Käfer klomm den zarten Stamm hinauf,

Bis endlich er das höchste Blatt erreicht;

Er hatte wohl den heißen Tag verschlafen

Und rüstete sich nun zum Abendflug.

Rückwärts die Händchen ineinanderlegend,

Behutsam sah das Kind auf ihn herab.

Schon putzte er die Fühler, spannte schon

Die Flügeldecken aus, ein Weilchen, und

Nun flog er fort. Da nickt' es still ihm nach.


Ich aber dachte: ›Rühre nicht daran!‹

Hob leis die Stirn und ging den Weg hinab,

Den Garten lassend in so holder Hut.

Nicht merkt ich, daß einsam die Wege wurden,

Daß feucht vom Meere strich die Abendluft;

Erfüllet ganz von süßem Heimgefühl,

Ging weit ich in die Dunkelheit hinaus.


Da fiel ein Stern; und plötzlich mahnt' es mich

Des Augenblicks, da ich das Haus verließ,

Die Hand entreißend einer zarteren,

Die drin im Flur mich festzuhalten strebte;

Denn schon selbander hausete ich dort. –

Nun ging ich raschen Schritts den Weg zurück;

Und als ich spät, da schon der Wächter rief,

Heimkehrend wieder durch den Garten schritt,

Hing stumm die Finsternis in Halm und Zweigen,

Die Kronen kaum der Bäume rauschten leis.

Vom Hause her nur, wo im Winkel dort

Der Nußbaum vor dem Kammerfenster steht,

Verstohlen durch die Zweige schien ein Licht.

Ein Weilchen noch, und sieh! ein Schatten fiel,

Ein Fenster klang, und in die Nacht hinaus

Rief eine Stimme: »Bist du's?« – »Ja, ich bin's!«
[172]

Die Zeit vergeht; längst bin ich in der Fremde,

Und Fremde hausen, wo mein Erbe steht.

Doch bin ich einmal wieder dort gewesen;

Mir nicht zur Freude und den andern nicht.

Einmal auch in der Abenddämmerung

Geriet ich in den alten Gartenweg.

Da stand die Planke; wie vor Jahren schon

Hing noch der Linden schön Gezweig herab;

Von drüben kam Resedaduft geweht,

Und Dämmrungsfalter flogen durch die Luft.

Ging's noch so hold dort in der Abendstunde? –

Fest und verschlossen stand die Gartentür;

Dahinter stumm lag die vergangne Zeit.

Ausstreckt ich meine Arme; denn mir war,

Als sei im Rasen dort mein Herz versenkt. –

Da fiel mein Aug auf jenen Sonnenriß,

Der noch, wie ehmals, ließ die Durchsicht frei.

Schon hatt ich zögernd einen Schritt getan;

Noch einmal blicken wollt ich in den Raum,

Darin ich sonst so festen Fußes ging.

Nicht weiter kam ich. Siedend stieg mein Blut,

Mein Aug ward dunkel; Grimm und Heimweh stritten

Sich um mein Herz; und endlich, leidbezwungen,

Ging ich vorüber. Ich vermocht es nicht.


Quelle:
Theodor Storm: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 41978, S. 170-173.
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