Gebräuche.

[179] Der zu Lichtmesse und am Aschermittwoch erscheinende Gebrauch findet sich in Schlesien zu Ostern. In der Mark ziehen die Knechte zu Fastnacht von Haus zu Haus, stäupen die Bewohner und empfangen Gaben: s. Kuhn S. 307.


Fastnacht. Die Kröten und Kröpel, welche man zu Fastnacht und in den zwölf heiligen Nächten fürchtet, scheinen Zwerge, die von Berchta und den verwandten über die Elbe gebietenden Göttinnen strafend in die Häuser gesandt werden, in denen man heidnische Festtage durch Arbeit entweiht. Bucklicht und sonst mißgestaltet sind die Schwarzelbe: als Kröten aber erscheinen außer den verwünschten Prinzessinnen auch die Zwerge.


Himmelfahrt. An den grünen Donnerstag und an Himmelfahrt, als die beiden von den Christen gefeierten Donnerstage, wurden Reste des Heidenthums geknüpft, die ursprünglich allgemein vom Tage Thors galten; Thors Wagen aber ziehen zwei Böcke, ihm heilig ist die Donnerziege (die Schnepfe): es scheint mir darum nicht zu gewagt anzunehmen daß sich hier noch eine Erinnerung an Opfer, die Thor empfing, erhalten hat. Thor, dem Besieger der Winterriesen, der mit seinen Gewittern den Frühling bringt, kann man leicht im Frühling geopfert haben; besonders wichtig aber ist daß in den fünf mansfeldischen Dörfern, welche dieses Fest begehen, keine andern Frühlingsgebräuche vorkommen. – Zu dem Bocke mit vergoldeten Hörnern, in dem schon Grimm, Myth. 48, ein Opferthier sieht, ist zu vergleichen daß, wie Kosche, Character Sitten und Religion aller bekannten Völker (Leipzig 1791) 4. Band S. 481, berichtet, in den Theilen Deutschlands, welche von Sorbenwenden bewohnt sind, an verschiedenen Orten am Jacobitage (25. Juli) noch im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts ein Bock mit vergoldeten Hörnern von einem Kirchthurme oder vom Rathhause unter Musik, mit Bändern geschmückt, hinabgestürzt wurde: sobald er unten ankam, stach man ihm das Blut[179] ab, welches gedorrt für ein kräftiges Heilmittel in vielen Krankheiten galt. Ob die Sitte noch besteht ist mir nicht bekannt: auf Thor könnte auch sie sich beziehen, da aus dem deutschen Cultus Einzelnes in den slavischen überging und schon nach Ordericus Vitalis (s. Giesebrecht Wendische Geschichten 1,57) Odhinn, Thor und Frigg auch bei den Luitizern verehrt wurden. Einen ähnlichen Gebrauch führt Coremans, L'année de l'ancienne Belgique S. 53, von Ypern an, wo man am Mittwoch der zweiten Fastenwoche Katzen vom Thurme stürzte: der Tag heißt danach noch jetzt in Ypern Kattewoensdag (Katzenmittwoch) oder Kattedag. - Ob das Rind und die Semmeln demselben Gotte dargebracht wurden, der den Bock empfing, läßt sich nicht bestimmen: durch das Rind scheint bei den Frühlingsopfern die Viehzucht, durch die Semmeln der Ackerbau vertreten zu werden. - Daß man jetzt meint, der Bock müsse nicht vergoldete, sondern ganz goldene Hörner haben, und daß man die Tonne Mückenfett an die Stelle des Rindes gesetzt hat zeigt nur den in volksthümlichen Überlieferungen oft wiederkehrenden Fortschritt von der Sage zum Märchen, welches, dem Spiele der Phantasie sich freier überlassend, das Wunderbare häuft und nicht mehr, wie die ernstere Sage, in gewissen Grenzen der Wahrscheinlichkeit sich zu halten strebt, weil es nicht mehr in gleichem Grade wie sie darauf Anspruch macht geglaubt zu werden. - Unter der Königin Elisabeth und der mansfeldischen Gräfin ist vielleicht die heilige Elisabeth, die Landgräfin von Thüringen, zu verstehen, welche nach dem Tode ihres Gemahls von Heinrich Raspe, seinem Bruder, mit ihren Kindern von Wartburg vertrieben wurde.


Pfingsten. Das Brautpaar ist deutlich der Frühlingsgott und der Frühlingsgöttin, der Maikönig und die Maibraut, die wie noch schüchtern nahend sich vor den Menschen verbergen, doch von ihnen aufgesucht und in die Dörfer geführt werden. - Der Gegensatz des Sommers und Winters zeigt sich in dem Spiele »Den alten Mann ins Loch karren«; denn als Puppe aus Stroh und Lumpen kommt der Winter in vielen Gegenden vor (Myth. 724ff.): hier scheint also der Winter, welcher in seiner Entkräftung passend der alte Mann heißt, feierlich zu Grabe gelegt zu werden, und darauf tanzt man um den Frühlingsbaum. Auch der in umgekehrte Pelze gehüllte Schellenmoriz stellt sich durch diese seine Tracht als Winter dem in Laub gekleideten Bischof, dem Sommer, gegenüber: zu der Benennung Bischof weiß ich nur Mönch in Sage 32 und Seebischof, wie in Wolfs deutschen Sagen 246 ein Nix genannt wird, zu vergleichen. –[180] In dem Spiele »Den Mann stechen« erscheint der Winter allein: bei dem Jungfernstechen und Kranzreiten aber ist keine bestimmte Erinnerung an den Kampf des Sommers und Winters mehr erhalten. – Die Sitte den wilden Mann, den man aus dem Walde holt, in Moos einzuhüllen ist ohne Zweifel älter als die ihn bunt zu färben oder beliebig zu verkleiden; denn daß die Waldgeister, wenn nicht stets, doch bisweilen als mit Moos bedeckt gedacht wurden zeigt bereits die Benennung Moosleute, auch wird es Deutsche Sagen 1, 48 ausdrücklich gesagt: für einen Schrat aber dürfen wir den wilden Mann schon nach seinem Namen halten (s. die Anmerkung zum 2. Märchen). Doch welche Bedeutung hat der Gebrauch einen Schrat aus dem Walde zu holen, nach ihm zu schießen und, da er nicht getödtet wird, ihn gefangen im Dorfe umher zu führen? Die Aufsuchung desselben ist dem »Brautpaar suchen« ähnlich und ließe sich auf die Einholung des Frühlings deuten: daß er jedoch bekämpft und in Banden wie zum Hohn in das Dorf gebracht wird erinnert mehr an den Winter, der, wie ich glaube, auch in einem märkischen Gebrauche gemeint ist, nach welchem der Bursche, der beim Mairennen zuletzt am Ziele ankommt, als »der lahme Zimmermann« mit verbundenen Füßen wie hier der wilde Mann im Dorfe umhergeführt und Allen gezeigt wird (Kuhn S. 324). Vielleicht hängt dieser Gebrauch mit der Einholung des Sommers und der Austreibung des Winters gar nicht zusammen.


Der Johannistag wird in der Umgegend von Halle noch wie ein Volksfest begangen. Die Illuminationen mögen an die Stelle der Johannisfeuer getreten sein, von denen ich in Sachsen sonst keine Spur gefunden habe. Die Johanniskronen aber gleichen den in der Mark und andern Gegenden zu Pfingsten aufgehängten Maikronen.

Der zwischen Johannis und die Ernte fallende Gebrauch »Die Räuberbande suchen« hat offenbare Ähnlichkeit mit der oben besprochenen Einholung des wilden Mannes: vielleicht sind sie nur verschiedene Formen einer und derselben Sitte, mit welcher wohl auch die vier zunächst folgenden Gebräuche zusammen hängen.


Zu dem Ernte gebrauch vergl. Haupts Zeitschrift 5, 472 ff., wo bereits der Reiter auf Wodan gedeutet wird. Da Wodan Gott der Ernte war, scheint der Gebrauch ursprünglich nur ein Erntefest gewesen zu sein und erst später, als man seine Bedeutung nicht mehr kannte, sich mit den Frühlingsgebräuchen vermischt zu haben.
[181]

Am Martinstage werden auch in der Mark die Kinder beschenkt; doch ziehen sie hier von Haus zu Haus und sammeln sich die Gaben ein (Kuhn 344 f.). In Belgien zündeten früher, wie Gisbertus Voetius Selectae disputationes theologicae Th. 3 (Utrecht 1659) S. 448 angiebt, die Knaben in der Martinsnacht Feuer an und sangen dabei

Stoockt vyer, maeckt vyer:

Sinte Marten komt hier,

Met syne bloote armen;

Hy soude hem geerne warmen,

wo auf die Legende angespielt wird, nach welcher Martin einst im Winter die Hälfte seines Oberkleides einem Armen gab (vergl. J. Grimm Gedichte des Mittelalters auf Friedrich I.S. 51).


Andreasnacht. Vergl. Deutsche Sagen 1, 114. Wolfs niederländ. Sagen 273.


Die zwölf Nächte (25. Dezember bis 5. Januar). Am Berchtentage, dem 5. Jannuar, ißt man Fische und Klöße oder sonst eine aus Getreide bereitete Speise: wie es scheint, muß Etwas aus dem Wasser und Etwas von den Früchten des Feldes genossen werden, weil Berchta, wie die verwandten Göttinnen, sowohl über die Seen gebietet als die Felder befruchtet. Daß man, wenn Frau Holla in den zwölf Nächten umgeht, keine Hülsenfrüchte ißt führt schon Grimm (Myth. 251) aus dem braunschweigischen Anzeiger von 1760 an; da jedoch Feldfrüchte in dieser Zeit sonst gerade geboten sind, wird es zweifelhaft ob dieses Verbot sich noch aus dem Heidenthum herschreibt, oder ob es nicht vielmehr, wie manches andere, erst aus der Absicht eine heidnische Sitte zu unterdrücken hervorgegangen ist. – Wie man in Thüringen in den zwölf Nächten an den Bäumen rüttelt, klopft man in der Mark am Neujahrstage daran und ruft »Bäumchen wach auf, Neujahr ist da!« (Kuhn S. 378.) Nach dem Spruche »Bäumchen, schlaf nicht, Frau Holle kommt« scheint es älterer Glaube gewesen zu sein daß die Natur, wenn die Göttin naht, wach sein müsse, gleichsam um sie zu empfangen, und daß Bäume, die eingeschlafen sind, bei der Vertheilung des Fruchtsegens von ihr übergangen werden.[182]

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 179-183.
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