Der Besuch und Abschied des Wanderers

[285] 1812.


Wie so gern in deinen Hallen

Ruh' ich aus von fernem Wallen,

Altes, ritterliches Bern!

Werth, den Namen wohl zu tragen

Jener Burg, wo nach den Sagen

Einst gewohnt der Helden Kern.


Aber ach! was muß begegnen?

Dreifach werd' ich nun dich segnen,

Denn ich fand ein Kleinod hier.

Du umgiebst viel schöne Frauen,

Bilder, herrlich anzuschauen:

Eine wohnt im Herzen mir.


Sie vernimmt den Dichter sinnig,

Sie empfindet zart und innig,

Was die hohe Kunst erschuf.

Sie erweckt mir neue Lieder,

Und des Genius Gefieder

Regt sich ihrem sanften Ruf.
[286]

Was die Vorzeit stark gesungen,

Seit Jahrhunderten verklungen,

Las ich ihr, die Wundermär:

Wie die nordische Brunhilde,

Kämpfend unter Speer und Schilde,

Bot der Minne Gegenwehr.


Sie indessen, statt der Lanze,

Führt die Nadel, stickt zum Kranze

Blumen in ein leicht Gewand.

Nicht umpanzert trägt die Holde

Ihren Busen, nur mit Golde

Einen Finger ihrer Hand.


Dennoch weiß sie zu verwunden,

Und ich muß an mir erkunden

Jenes Liedes Leid und Lust.

Was die kühnsten Helden stritten,

Was sie freute, was sie litten,

Kam aus edler Frauen Brust.


Ob auch Kampf die Dichter sangen,

Ob die Lieder krieg'risch klangen

Wie Trompet' und Hörnerton:

Doch ein Lächeln blüh'nder Wangen,

Frischer Lippen Gruß empfangen

Wollten sie zum schönsten Lohn.


Ihrer Augen blaues Leuchten

Sah ich oft mit Wehmuth feuchten

Chriemhilds Trauer, Sifrids Tod.[287]

Ach! so kann sie Mitleid hegen

Mit des Herzens bangen Schlägen,

Seiner hoffnungslosen Noth.


Zwar verstummt die kühne Bitte

Vor der zarten stolzen Sitte,

Die kaum Huldigung erlaubt:

Möchte, wenn die Wünsche schweigen,

Sich nur linde zu mir neigen

Dieses reich umlockte Haupt!


Dürft' ich dieser Blume warten,

Die so einsam steht im Garten,

Schirmen sie vor rauhem Nord,

Sie bethau'n mit meinen Thränen,

Sie umweh'n mit leisem Sehnen!

Doch mein Schicksal reißt mich fort.


Goldne Träume meiner Jugend,

Welches Reizes Zaubertugend

Rief euch süß und schmerzlich auf?

Lebet wohl! Ich muß nun scheiden,

Muß mich in Entsagung kleiden

Zu des Lebens strengerm Lauf.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 285-288.
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