61. Gesang an die Melodie

[329] Melodie! du Laut aus höherm Leben!

Deiner Ätherschwingen reinstes Streben

Würde zum Unendlichen sich heben;

Doch ein Schall, der flüchtige, vertönt,

Hallt kein beßrer Wohllaut uns von innen,

Der, was hier verklang an äußern Sinnen,

Dauernder zum Geistigen verschönt!


Durch des Lebens Kränz' und seine Flittern

Stürmt das Schicksal oft aus Nachtgewittern,

Und die bang' verscheuchten Tön' erzittern,

Wie verwehter Freuden Blütenhauch.

Alles Schöne muß verblüht entschweben;

Die Empfindung flieht, es flieht das Leben,

Und des Wohllauts Strom entrinnet auch.


Soll die Fülle seiner Harmonieen

Leuchtend durch des Lebens Thale ziehen,

Darf die Glut der Rührung nie verglühen,

Die der Geister Sonn' auf ihn ergoß.

Wie vom Engel, der die Wolken teilte,

Spät noch Licht auf jenem Teiche weilte,

Und die Heilungskraft, die ihm entfloß.


Nicht dem Ohre schmeichelnd nur zu kosen, –

Zur Erquickung dem Erquickungslosen,

Flößt das Öl aus deinen Himmelsrosen

Holdes Labsal in des Menschen Herz! –

In der Töne zarten Knospen liegen

Leise Wehmut, rührendes Vergnügen

Und der Sehnsucht wonnevoller Schmerz.


Hellas Tochter! holdeste Aöde!

Dort in Chören sang dir der Tragöde,

Dort beseeltest du der Suada Rede,[330]

Schwebtest auf der Dichtung reichem Strom;

Schwandest dann, verklärter zu erscheinen,

Stiegst in Hymnen christlicher Gemeinen

Durch des Tempels Dom zum Sternendom!


Heil'ge Andacht, tief und doch erhaben,

Nährtest du des Glaubens Himmelsgaben,

Märtyrer im Todeskampf zu laben,

Lichte Hoffnung, frommes Gottvertrau'n;

Gabst Choral und Psalm die höchsten Weihen,

Und erhellst mit leisen Litaneien

Sterbenden des offnen Grabes Grau'n.


Täuschung wärest du, und bald entflohen,

Was den Mut erhebt, wo Stürme drohen?

Was die Heere stärkt, und die Heroen

Zart zu schonen – kühn zu sterben drang?

Was, wie Spartas Helden, edle Streiter

In die Schlachten führet freudig heiter,

Ihr Gedächtnis feiert im Gesang? –


Woll' auch uns nicht wirkungslos entschwinden;

Immer sollst du offne Herzen finden

Und zu schönen Zwecken sie verbinden,

Die Gemüter stimmen rein und klar!

Und des Vaterlandes edle Söhne,

Seiner sanften Töchter Seelentöne,

Bringen dir ein würdig Opfer dar!


Sanft entström aus weiblich milder Kehle,

Mit Gedanken einer Engelsseele!

Ausdrucksvoller selbst als Philomele

Töne, was ein fühlend Herz erfuhr!

Unsern Busen lindernd zu erweiten,

Sende du, die Seufzer zu begleiten,

Stimmen sanfter Töchter der Natur!


Jedem Sennenhorn auf Tannenhöhen,

Dem bekränzten Kahn auf Alpenseen

Müssen reine Jubel nur entwehen![331]

Kühner Sinn veredle jedes Lied!

Reine Freiheit höre rein sich grüßen,

Künde weit im Land zu unsern Füßen,

Daß sie nie aus edeln Herzen schied!


Tön aus jeder Brust im Vollergusse,

Und entzieh uns flüchtigem Genusse;

Stärke dann zu heiligem Entschlusse;

Rüste jeden Laut mit Kraft und Geist!

Weih uns, fest das Schicksal zu ertragen,

Und das Höchste für die Pflicht zu wagen,

Und den Aufschwung, der von Staub entreißt!


Einst zerfallen dir des Raumes Schranken;

Ewige, melodische Gedanken

Steigen, wenn des Kerkers Decken sanken,

Aus der Erdentöne Hüll' empor,

Wie des Schwanen Lied, wenn mit Gesange

Er zum Himmel stieg, im Sphärenklange

Schwindend, sich, ein Geisterlaut, verlor.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 329-332.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Anthologie aus den Gedichten von Matthisson und Salis

Buchempfehlung

Haffner, Carl

Die Fledermaus. Operette in drei Aufzügen

Die Fledermaus. Operette in drei Aufzügen

Die Fledermaus ist eine berühmtesten Operetten von Johann Strauß, sie wird regelmäßig an großen internationalen Opernhäusern inszeniert. Der eingängig ironische Ton des Librettos von Carl Haffner hat großen Anteil an dem bis heute währenden Erfolg.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon