Die vier junkfrauen

[102] Im blaben ton Regenbogen.


20. merz 1537.


1.

Vier junkfrauen von hohem stam,

die waren bei einander

in eines grünen garten mit

in wunn und frölikeit.[102]

Ignis Feuer, die erst mit nam,

Aqua Waßer die ander

Aer, der Luft, so war die drit

Veritas, die warheit,

Das war der junkfrauen die virt

und sprach mit klugen sinnen:

»zu euch dreien hab ich begirt,

wo sol ich euch nun finnen?«

das Feuer sprach: »schlag an ein stein

mit einem stahel ganz,

so findest mich darin allein

mit einem lichten glanz.«


2.

Das Waßer sprach: »wo binzen stan,

da solstu graben eine,

du finst mich in der wurzeln grunt,

so oft du mein begerst.«

Der Luft sprach: »zu eim baum tu gen,

wo die bletter alleine

rauschen und sich bewegen tunt,

mein gegenwart bewerst.

All drei sie sprachen wunsamlich:

»du edele Warheite,

wo sollen wir dan finden dich?«

die Warheit sprach in leide:

»o ir schwestern, mort über mort!

ich hab kein eigen haus;

man fint mich weder hie noch dort;

iederman treibt mich aus.


3.

Mich haßet der arm wie der reich,

niemant wil mich herbergen,

ich muß nun iemer für und aus,

derhalb ich ellent bin.

Dan alle welt tut sich geleich

unter die Lüg verbergen;[103]

die fint man überal zu haus,

wo einer kumet hin.«

Wie Oseas am vierten klagt,

kein warheit sei im lande,

sunder list, lug und trug, er sagt,

falschheit, laster und schande.

wer ietzund genau suchen wil

und luchsenaugen het,

der sech der warheit auch nit vil,

darum es übel stet.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 102-104.
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