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[161] In des Frauenlobs grünem ton.
5. januar 1545.
1.
Im Beierlant mit name
ein dorf ligt, Fünsing ist genant,
mit einfeltigen bauren,
trugen erstlich kein ander gwant,
dan schnitten in ein tuch ein loch,
stießen den kopf dardurch, ließen es hangen.
Eins tags ein bauer kame
gen München hinein in die stat,
sach einen schneider machen
röck, mentel, hosen, alles wat.
das wundert den Fünsinger hoch,
merkt auf den werkzeug mit großem verlangen.
Nach dem in kurzen tagen
fing er im bach ein großen krebs,
den tet er mit heim tragen,
vermeint es wer ein schneider,
weil er trüg zwo nadel und scher,
sein eier meint der zwiren wer;
sein nachbauren glaubtens, waren nicht gescheider.
2.
Jeder sein loden brachte
zusamen in ein stuben gar,
der krebs solt kleider schneiden,
und darnach neen offenbar,
der nur hinter sich kroch.[162]
ein bauer sprach: »er tut sich vor uns schamen.«
Und setzten im zu nachte
ein licht zu und giengen darvan,
zu dem der krebs tet kriechen
und stieß es um und zündet an,
das tuch und haus bran also hoch.
die bauren al grimig geloffen kamen.
Als nun verbrun das hause,
den schneider suchtens überal,
den sie forchtsam in grause
in einem loche funnen,
den sie um sein groß missetat
verurteilten mit gmeinem rat
und warfen in ein tiefen brunnen.
3.
Aus forcht sie doch, besunnen,
füllten den brunnen zu mit ert,
besorgten, das unzifer
kem heraus, brecht sie in beschwert.
darnach machtens ein gwonheit seint,
das ieder breutgam muß ein fuder füren
Ertrichs auf disen brunnen,
wan er hochzeit gehalten hat;
des ist ein hoher bühel
ietz worden an der selben stat.
seither sint all Fünsinger feint
den krebsen, tunt ir keinen mer anrüren.
Wan einer heut betagen
zu Fünsing schrie: »krebs feil! krebs feil!«
er wur von in erschlagen,
wo er ir tet erharren.
darum haben noch mit in heut
mancherlei satzwerk etlich leut,
wie man spricht: »ein narr machet zehen narren.«
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