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[237] In dem blüenden ton Frauenlobs.
4. october 1547.
1.
Ein esel weidet in dem walt,
den hinterschleich ein wolf gar balt,
der sprach: »esel es hungert mich,
mein nachtmal mustu sein!«
»Geren!« der esel antwort gab,
»das ich kum meiner hartsal ab;
doch gwer mich eins, das bit ich dich:
für mich in walt hinein.
Da blenk vier starke wied, mit lust
darmit bint du mich um mein brust
als dein gefangen knecht;
du aber henk die wied an hals,
als mein recht gebietender her,
und für mich in den walt gar ferr;
alsdan wil geren sterben ich;
da hastu fug und recht,
das du mich eßst nachmals.
2.
Dan wo du mich freßst an der straß,
wer mir hoch zu verargen das,
die weil ich gar vil größer bin
mich nit geweret hab.«
Der wolf west um den arglist nit;
er blenket wied und bunde mit
den esel und fürt in da hin
weit in den walt hinab.
Der esel drang zum walt hinaus
ein holzweg zu seins herren haus
der wolf herwider zug,
zum esel sprach: »du gest nit recht!«[238]
der esel sterker war dan er
schlept den wolf neben im daher
der heimlich grisgramet und grin,
widerstrebet genug,
noch zöscht in hin sein knecht.
3.
Als er in bracht zus bauren haus
schrir er, da loff das gsint heraus
mit hauen, schaufel, spieß und schwert,
schlugen den wolf halb tot.
Einer hieb mit der barten dar,
wolt im sein schedel spalten gar,
zerhieb die wied on al gefert;
der wolf entsprung mit not.
Der esel schrei: ian! ian!
der wolf auf einen berg entran
und sprach: »sing oder schrei,
so sag ich auf die treue mein,
in die wied bringstu mich nit mer« –
sprach Esopus, daraus man ler;
wer einmal veruntreuet wart,
wird er ledig und frei,
laß ims ein witzing sein!
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