Das Gnadenbrod

[147] Zehn Jahre hatte schon der treue Hund

Die Burg des Löwen Tag und Nacht bewahret,

Nun war er alt. Sein Scheitel sank enthaaret

Zur Erde hin, sein heisrer Schlund

Vermochte kaum das Wer da! mehr zu rufen.

Noch lag er immer auf des Schloffes Stufen

Und harrte still auf den zu trägen Tod.

Einst nahm der Schach ihn wahr; er bot ihm seine Rechte

Und sprach: du bist der treuste meiner Knechte,

Ich gebe dir das Gnadenbrod.

Das Gnadenbrod! rief Hylax. O, der Gnade!

Die einen Greis nicht Hungers sterben läßt,

Der nur für dich gelebt. Ha, Schade, Schade!

Für solche Huld. Er schweigt, von Gram gepreßt

Flieht er den Hof und suchet sich ein Nest

Im ödsten Dickicht aus. Doch eine Oreade

Nahm ihn auf ihren Schoos. Gleich einem sanften West

Blies hier der Tod ihn an, und mit gesenkter Hippe

Küßt er den letzten Hauch ihm von der Lippe.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802, S. 147-148.
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