Hartknopfs Gesellenjahre.

[113] Als Schmiedeknecht wanderte Hartknopf in Erfurt ein, als Kandidat der Theologie wanderte er wieder aus, ohne daß er deswegen aufgehört hätte, ein Schmidt zu seyn.

In einem halben Jahre hatte er sich so viel gespart, daß er füglich ein halb Jahr ohne Arbeit leben konnte – und diese Zeit über befriedigte er den brennenden Durst nach Wissenschaft, der ihn schon so manche Thräne gekostet hatte

Freilich hatte er vom Emeritus in Gellenhausen mehr gelernt, als ihn alle Doktoren in Erfurt lehren konnten – aber es war ihm doch auch nun um Ausbreitung des Geistes, es war ihm um das Extensive zu thun, da er es in dem Intensiven schon ziemlich weit gebracht hatte.

Er hörte Mathematik, Geschichte, Naturlehre, u.s.w. – Aber er las mehr, als er hörte – Die Erfurter Universitätsbibliothek mag wohl lange ihren geringen Schatz nicht so sorgfältig[114] gebraucht gesehen haben, als es von Hartknopfen geschahe.

Hartknopf machte erstaunliche Fortschritte; denn zu allem was er begann, brachte er ein Licht mit, das ihm der Emeritus angezündet hatte, und wodurch es ihm da schnell Tag wurde, wo es andern oft lange Nacht bleibt, ehe sie sich durch die Finsternisse durchgearbeitet haben.

Er lebte übrigens in Erfurt sehr verborgen – und ich habe ihn dort im Jahr 177*, bei einem gewissen Doktor Sauer, der nun todt ist, kennen lernen.

Möge die Asche des Doktor Sauers in Frieden ruhen; er verdiente wohl von Hartknopfen gekannt zu werden; ob ihn gleich die Welt nicht gekannt hat. – Welche herrliche Talente, welch ein Umfang von Kenntnissen sind mit diesem Manne begraben worden, der die Bewunderung seiner Zeitgenossen hätte seyn können, wenn der edle Sprößling nicht in der Jugend zerknickt worden wäre.

Solch ein Kopf mit solch einem Herzen vereinigt, mußte ohne eine Spur hinter sich zu lassen, unrühmlich in die Verwesung übergehen. –[115] Er wohnte in einer kleinen Ggsse, in eines Schusters Hause, und da man seinen Sarg heraustrug, fragte nicht einmal ein Nachbar: wen begräbt man da? Und keine Thräne wurde ihm nachgeweint.

Hier lernte ich Hartknopfen dem Leibe nach und zum Theil auch dem Geiste nach kennen – die eigentliche Bekanntschaft unsrer Seelen aber fällt in das Jahr 178*, zwei Jahr vor seinem Märtyrerstode.

Als ich ihn nun beim Doktor Sauer zuerst erblickte, war es mir, als sähe ich einen Unsterblichen hereintreten – Er kam aber in der Dämmerung, da es Feierabend war, und hatte sein Schurzfell vor – denn es war damals gerade sein Arbeitshalbesjahr. – Da er dem Doktor Sauer die Hand gab, so war es, als wolle er mit seinem starken nervichten Arm, das zerknickte Rohr wieder aufrichten; jedes seiner Worte goß neuen Muth in die Seele des darniedergebeugten – dem die Führer seiner Jugend, da sie ihn Bescheidenheit lehren wollten, unglücklicher Weise das Selbstzutrauen, diese unentbehrliche Stütze des schwachen Sterblichen aus den Händen entwunden[116] hatten – Hartknopf wollte sie ihm wiedergeben, aber auch die Hände waren schon gelähmt, die sie ergreifen und festhalten sollten.

Unaufhaltsam sank der Hülflose hinab; die Kräfte seines Geistes und seines Körpers verzehrten sich in sich selber. – Um nicht vor Hunger umzukommen, mußte er das elende Geschmiere eines marktschreierischen Arztes für ein Spottgeld ins Lateinische übersetzen; und dieser erwarb sich dennoch, bei der Welt, die einmal betrogen seyn will, Ruhm und Ehre damit, und wurde mit einem ansehnlichen Gehalt irgendwo, als Brunnenarzt befördert, während daß der ehrliche Sauer die Zöllner und Sünder heilte, und für das Geld, was er mit dem Uebersetzen verdient hatte, noch die Arzeneien anschafte, die er statt Bezahlung von den Kranken zu nehmen, ihnen noch unentgeldlich dazu gab.

Der Schwung seines Geistes in einigen vortrefflichen Gedichten wurde einem elenden Geschmiere von Wochenschrift zu Theil, das ein Buchdrucker in Erfurt herausgab, für welchen Sauer zuweilen als Korrektor Tagelöhnerarbeit verrichtete.[117]

Endlich schien ihm die Glückssonne ein wenig zu lächeln; der Stadthalter von Dahlberg lernte ihn kennen, und dachte auf seine Beförderung, als der Tod ihn weit schneller und besser beförderte, wie alle Fürsten und ihre Stadthalter hätten thun können.

Ok..rd, wo du auch seyst, der du von ohngefähr dieses liesest, erinnere dich mit mir des guten Sauers, mit dem wir manche frohe Stunde verbrachten, der dich auch Weißheit lehrte, und laß uns seinem Andenken noch eine freundschaftliche Thräne weihen!

Hast du je den Schmiedegesellen bei ihm gesehen, so erinnere dich, wenn du kannst, seiner Gestalt und seiner Rede, und wisse, daß dieser mein Hartknopf war.

Nachdem ich ihn das erstemal beim Doktor Sauer gesehen hatte, sprach ich ihn nur noch einigemale; denn er verließ bald darauf Erfurt, wo er sich eine geraume Zeit aufgehalten hatte, ohne daß man sich um ihn bekümmerte – da es sonst in Erfurt, weil die Universität sehr klein ist, für einen der sich mit den Wissenschaften beschäftigt, schon ziemlich schwer hält, ganz unbemerkt[118] zu bleiben; nun war aber Hartknopf ordentlich als Student inskribirt – weil er jedoch nach dem ersten halben Jahre nur noch selten die öffentlichen Vorlesungen besuchte, in keine Studentengesellschaft ging, und überhaupt sich nicht viel öffentlich sehen ließ, so betrachtete man ihn, als ob er gar nicht da gewesen wäre.

Der Doktor Froriep stellte damals mit einigen Studenten Predigtübungen in der Universitätskirche an, die in der Woche bei verschloßnen Thüren gehalten wurden. – Hier hat auch Hartknopf, wie ich weiß, einmal gepredigt, ich glaube aber schwerlich, daß sich der Doktor Froriep seiner erinnern wird; denn wenn er in sich zurückgezogen da stand, so hielt man ihn für einen äußerst unbedeutenden Menschen.

Nachdem ich ihn nur erst einmal beim Doktor Sauer gesehen hatte, saß ich an einem Sontagabend einmal oben am Steigerwalde, und las in Klopstocks Messiade – Der Steiger ist ein Wald nahe bei Erfurt, auf einer Anhöhe, von welcher man die ganze Stadt übersehen kann, die mit ihrer unbeschreiblichen Menge Gärten rund umher einen sehr schönen Prospekt macht –[119] Hier lag ich also im Grase hingestreckt, und erwartete, indem ich in Klopstocks Messiade, die Erzählung von den beiden Jüngern von Emaulas, den Untergang der Sonne.

Indem kam Hartknopf den schrägen Abhang herausgegangen, seinen blauen Sontagsrock mit gelben Knöpfen und steifen Schößen von oben bis unten zugeknöpft, und seinen Dornstock in der Hand – grüßte mich, und setzte sich neben mich –

Und ich machte schnell mein Buch zu, und wollte es einstecken, denn es war mir, als ob ich mich, ich weiß selbst nicht aus was vor Ursachen, vor ihm schämte. – Ich fühlte mich auf einmal so klein, so schwach in seiner Gegenwart – da ich mir noch kurz vorher gar nicht so vorgekommen war – sein Blick durchdrang mein Innerstes, und schlug mich nieder.

Aber heilig soll mir dieser Abend seyn, so lang ich lebe –

Das Gespräch lenkte sich von der Schönheit des Abends, bald auf die Schönheit und Aufrichtigkeit der Seele, die einen solchen Abend nur allein empfinden kann, wenn sie von allen Schlacken[120] der Eitelkeit und Selbsttäuschung gesäubert, die schöne Natur wie ein reiner und heller Spiegel in sich darstellt.

Es war ja wohl recht schön am Steiger die Sonne untergehen zu sehen, und dabei in Klopstocks Messiade zu lesen – aber die Scene mußte nicht gleichsam herbeigezwungen werden, bloß um denn nachher, auch nur zu sich selber, sagen zu können: ich habe am Steiger die Sonne untergehen sehen, und Klopstocks Messiade dabei gelesen – ich bin doch gewiß kein gemeiner Mensch – so etwas läßt doch schön im Leben, wenn man so zurückschaut. –

O unbegreifliche Eitelkeit! nicht genug daß du andre durch falschen Schimmer zu täuschen suchst, willst du vor dir selbst mit Zwang eine dir nicht abgemessene Rolle spielen – Die Sonne mit dem Buche in der Hand untergehen zu sehen, ist dir Arbeit nicht Genuß – Du machst die Scene, sie fügt sich nicht von selbst; deine Seele ist nicht aufrichtig, deine Empfindungen sind erkünstelt, der Abdruck der schönen Natur in dir ist verfälscht![121]

Dieß ist ohngefähr der Inhalt von dem, was ich an dem Abend von Hartknopfen gelernt habe. – Es ist ein sehr angenehmer Spaziergang bei Erfurt nach den sogenannten drei Brunnen, wo sich der Weg zwischen Gärten und Gebüschen in mancherlei Krümmungen hinschlängelt, indeß sich von allen Seiten her kleine Bäche ergießen, an deren schmalen Ufern man hinwandelt – Hinter sich sieht man denn die alten hohen Klöster und Thürme der Stadt, die mit der erstaunlichen Menge blühender Gärten umher einen so angenehmen Kontrast machen –

Hier trafen wir uns einmal um Mitternacht, da der Vollmond am Himmel stand – und Hartknopf war doch gewiß keiner der empfindsamen Nachtwandler, die über dem Anschauen des Mondes ihr Tagewerk versäumen. – Er hatte seit einiger Zeit angefangen, die Kunst des grossen Saumeisters in dem gestirnten Himmel bewundern zu lernen.

Er hatte sich wirklich astronomische Kenntnisse erworben, und kam itzt, mit einem kleinen Tubus in der Hand, eine Anhöhe herunter, auf welcher er einige Stunden zugebracht hatte. –[122] Er hatte eine besondre Gabe, dergleichen Kenntnisse mitzutheilen – Seine Astronomie war keine leere Nahmenkenntniß von Sternbildern – Es war ein mächtiges Eingreifen der Gedanken in den großen Weltplan, wovon nur so ein kleiner Theil von unsern Sinnen gefaßt wird.

Ich sitze im Zimmer – ein Strahl der Sonne fällt hinein, und macht einen Strich der Staubwolke sichtbar, die sich auf und niederwälzt – in dem erleuchteten Striche schwimmen unzählige Sonnenstäubchen, und drehen sich theils umeinander, theils ein jedes um seine eigne Axe – der Bewohner eines solchen Sonnenstäubchens schaut über sich, und sieht eine unzählbare Menge ähnlicher kleiner Körper, die sich alle in einem und ebendemselben Lichtstrahl drehen, und ruft mit Verwunderung und Erstaunen aus: o du unendliches Weltgebäude, wer misset dich?

Ich eröfne das Fenster, und sehe den Himmel an, der nächtlich mit Millionen Sternen besäet ist, die sich alle, wie unser Erdball in einem, großen Lichtmeer wälzen; und rufe mit Verwunderung und Erstaunen aus: o du unendliches Weltgebäude, wer misset dich – Und ein höheres[123] Wesen lächelt vielleicht, indem es alle diese Welten mit einer Hand zusammen faßt, über meinen Ausruf; so wie ich über den Ausruf des Weltbürgers auf einem Sonnenstäubchen. –

Man denke nicht daß Hartknopf lehrte, wenn er so sprach – nein, Lehren, das war gewiß seine Sache nicht – er warf nur Vermuthungen hin, gab Winke – hüllte die herrlichen Wahrheiten in demüthige Zweifel ein – ließ aus der Dunkelheit der Zweifel allmälich das Licht hervorbrechen – und wußte Empfindung und Gedanken auf eine so wunderbare Art zu verflechten, daß man kaum mehr zu unterscheiden wußte, ob man die Wahrheit aus Liebe zu ihr, oder aus fester Ueberzeugung annahm.

War ich je in einem Augenblick meines Lebens fest und unerschütterlich von der Fortdauer meines Geistes überzeugt, so war ich es in jener Nacht, wo ich mit Hartknopfen spazieren ging – Und oft habe ich mich noch nachher an der Erinnerung von jener Ueberzeugung, die ich doch damals wirklich hatte, festgehalten, wenn meine Zuversicht wieder wanken wollte.[124]

Ich habe oft Youngs Nachtgedanken gelesen, aber keinen Schatten von her Empfindung haben sie in meiner Seele hervorgebracht, welche damals Hartknopfs kurzes Gespräch in mir erweckte.

Young ist in vielen Stellen erhaben auch zuweilen rührend und seelenschmelzend; aber er war nur in den Zelten der Lieblingsdichter meines Herzens, wo meine Seele selbst verstimmt war – Er hat die Nacht aus der Natur herausgeschnitten, und sie einzeln aufgestellt – er hat die Finsterniß vom Lichte gesondert – er hat uns in einem vollen gerüttelten Maße die Schrecken des Todes aufgetischt, daß wir auf einmal den Gaumen unsere Geistes daran laben sollen.

Hartknopf lehrte mich die Nacht lieben ohne den Tag zu scheuen, und den Tag ohne die Nacht zu scheuen. – Finsterniß und Licht – Tod und Leben – Ruhe und Bewegung – mußten in sanfter Mischung sich ineinander verschwimmen. –

Der Blick zum Himmel gekehrt, mußte sich von neuem Lichte gestärkt, wieder zur Erde senken – um Dort und Hier Gegenwart und Zukunft[125] in schöne Harmonie miteinander zu vereinen. –

O wie ich damals an seinen Lippen hing – es war eine warme Sommernacht – wir saßen auf einem Rasenhügel – zu unsern Füßen rauscht' ein Bach, über uns hing ein grünes Gesträuch – in der Ferne sahe man das Kartheuserkloster – Der Himmel umschloß uns von oben –

So war alles zusammen bis auf den innersten Gedanken in unsrer Seele ein vollendetes Ganze.

Ich fühlte mein Daseyn zum erstenmale; fühlte mich in dieser großen Kette eingezwängt; sicher, fest, und unerschütterlich –

Ich ward zum erstenmal auf den rechten Lebensfleck geführt –

Ich lernte die große Weißheit:


Des Alles im Moment.


Ich ward zum neuen geistigen Leben gebohren.

Von dem Augenblick an war es ruhig in meiner Seele – Die tobenden Stürme des Ehrgeizes legten sich – die Furcht verschwand, die Hoffnung ward Zuversicht.[126]

Die Stille der Seele hatte einen wohlthätigen Einfluß auf meinen Körper; mein Pulsschlag war wieder sanft und regelmäßig – leicht und ungehindert strömte das Blut in frohen Kreisen fort –

Mein kränklicher Körper ward durch die Seele geheilt; ich fühlte mich an Leib und Geiste neugebohren.

Diese Nacht war es, wo ich Hartknopfen dem Geiste nach kennen lernte. – Das heißt, sein Geist war mir nun gesichert, er mochte abwesend oder gegenwärtig, todt oder lebend seyn – Ich blickte durch den Geist in seine Augen, so wie ich vorher durch das Auge in seinen Geist geblickt hatte.

Unsere Zusammenkunft in dieser Nacht schien ein Werk des Zufalls – aber sie war es nicht – denn ich möchte doch nicht gern die nothwendige Glückseligkeit meines Lebens an etwas schuldig seyn, das sich eben so leicht nicht hätte fügen können, als es sich gefügt hat.

Nein, in eben dem ewigen Zusammenhange, worin mein ganzes Daseyn gegründet ist, worin ich mich so gesichert fühle – war auch jener Augenblick[127] meines Lebens fest gegründet, wo sich Hartknopfs Seele gegen die meinige aufschloß; und ich weiß es gewiß, daß er mir nicht entgehen konnte.

Hartknopf fand mich der Mittheilung seines Geistes werth; welches er gewiß nicht gethan haben würde, wenn seine erste Lektion am Steigerwald bei mir nicht angeschlagen hätte – aber er sahe, daß meine Seele aufrichtig war; daß ich mich der thörichten Verstellung, und des thörichten Zwanges schämte; daß ich die Nacht nicht herausgegangen war, um zwischen der Natur und mir gleichsam eine feierliche Scene zu veranstalten; sondern daß ich dießmal einem lockenden Rufe gefolgt war, und daß mein Herz sich willig eröfnete, um den reinen Lichtstrohm aus ihr aufzunehmen.

Ich war so gestimmt, daß ich mich an der Figur eines Blattes auf den Wipfeln der Bäume ergötzen konnte, und alles aus meinen Gedanken verbannt war, was diese schöne Ordnung der Natur, die sich jetzt unverfälscht in mir abdrückte, hätte stören können.[128]

Diese wohlthätige Stimmung bemerkte Hartknopf sogleich, und nutzte sie mit solcher Macht, daß er, ehe ich es noch selbst wußte, eine neue Schöpfung in mir hervorgebracht hatte.

Das Licht hatte sich von der Finsterniß gesondert, der Morgen war angebrochen.

Das verwirrte Chaos der Ideen, die von Jugend auf in meine Seele geströmt waren, ordnete sich plötzlich zu einem schönen Ganzen.

Selbst das, was ich glaubte unnütz und umsonst gelernt, und in Büchern gelesen zu haben, fand hier seinen angewiesenen Platz – und da war nichts mehr, das nicht in den schönen Plan gehört hätte.

Die Fluthen, die vorher sich mit dem Erdreich vermischt, und es schlammicht und bodenloß gemacht hatten, sonderten sich jetzt in Meere und Flüsse, und stellten das Antlitz des Himmels dar, der sich darin spiegelte, und die Erde ward fest und hart, daß Menschen und Thiere drauf wandeln, und Bäume und Pflanzen drauf emporschießen konnten.

Wahrlich ich sage dir, es sey denn, daß jemand gebohren werde, aus dem Wasser [129] und Geist, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Wer nicht den ganzen Nutzen von dem, was er gelernt, gethan, gedacht, gelebt hat, in einen Moment zusammen ziehen kann, bei dem ist die neue Schöpfung noch nicht vorgegangen, und noch nicht alles so geordnet, wie es soll. –

Der Moment ist und bleibt der letzte Punkt, wohin alle Weißheit der Sterblichen streben kann und muß – alles andre ist Chimäre und Einbildung.

O wer leihet mir Hartknopfs Sprache, womit er in meine Seele rief: es werde Licht!

Wer lenkt meine Feder, daß sie nur ein schwaches Bild jener unnachahmlichen Sprache durch gemahlte Töne auf dem Papier entwerfe.

Göttliche Kunst, die du die Gedanken des schwachen Sterblichen auf kommende Geschlechter hinüber trägst – wenn sein Mund schon lange im Grabe verschlossen ist – o, wie engst du den Geist ein, der sich dir hingiebt; der den zusammengedrängten Lichtstrahl schwächt, damit er sich weit umher verbreite!

[130] Der Buchstabe tödtet, aber der Geist macht lebendig.

Hartknopf nahm seine Flöte aus der Tasche, und begleitete das herrliche Recitativ seiner Lehren, mit angemeßnen Akkorden – er übersetzte, indem er phantasierte, die Sprache des Verstandes in die Sprache der Empfindungen: denn dazu diente ihm


die Musik.


Oft, wenn er den Vordersatz gesprochen hatte, so bließ er den Nachsatz mit seiner Flöte dazu.

Er athmete die Gedanken, so wie er sie in die Töne der Flöte hauchte, aus dem Verstande ins Herz hinein.

Bewafnetes Auge, bewafneter Mund, bewafnete Hand, pflegte er wohl zu sagen:


Der Tubus, die Flöte, und der Hammer.


Auf dem Klavier hat er sich manche verworrne Idee herausgespielt, und ins klare gebracht –

Sein Studium aber ging darauf, die Musik zur eigentlichen Sprache der Empfindungen zu machen, wozu sich die artikulirten Töne nicht so wohl schicken, als die unartikulirten, die das Ganze nicht erst zerstücken, um es dann wieder[131] zusammenzufassen, sondern die es gleich, so wie es ist, ganz und in seiner Fülle lassen.

Er verstand die Kunst, durch die Musik auf die Leidenschaften zu wirken – darum trug er immer seine Flöte bei sich in der Tasche – und durch unablässige Uebung hatte er es so weit darin gebracht, daß er oft durch ein paar Griffe, die er, wie von ohngefähr that, aufgebrachte Gemüther besänftigen, Bekümmerte aufrichten, und den Verzagten neue Hoffnung einflößen konnte.

Es war weiter nichts künstliches bei der Sache, als daß der gewählte Ton grade eingreifen mußte, wo er sollte. – Und denn war es oft eine sehr simple Kadanz, oder Tonfall, welche die wunderbare Wirkung hervorbrachten.

Ein jeder wird einigemale wenigstens in seinem Leben die Bemerkung an sich gemacht haben, daß irgend ein sonst ganz unbedeutender Ton, den einer etwa in der Ferne hört, bei einer gewissen Stimmung der Seele, einen ganz wunderbaren Effekt auf die Seele thut; es ist, als ob auf einmal tausend Erinnerungen, tausend dunkle Vorstellungen mit diesem Tone erwachten, die das[132] Herz in eine unbeschreibliche Wehmuth versezzen. –

Da hatte nun Hartknopf der Natur auf die Spur zu kommen, und das in Kunst zu verwandeln gesucht, was sich sonst nur zuweilen wie durch Zufall ereignet.

Freilich mußte er den schon etwas kennen, auf welchen seine Töne dergleichen Wirkung hervorbringen sollten – aber er lernte auch wieder durch die Wirkung, welche diese Töne machten, allmälig das Herz dessen immer besser kennen, mit dem er umging.

Das höchste in der Musik liegt in der Kenntniß ihrer einfachsten Elemente.

Hartknopf wäre ein großer Musikus gewesen, wenn er gleich nie hätte die Flöte blasen, und das Klavier spielen lernen.

Er verband aber mit Fleiß ein Blaseninstrument, mit einem Seiteninstrumente. – Das Blaseninstrument ist ganz Ausdruck der Empfindung, das Seiteninstrument schon zum Theil den Ideen geweiht – durch das Seiteninstrument entwickelte sich Hartknopf, was er[133] durch Blaseninstrumente im Ganzen empfunden hatte.

Die Blaseninstrumente sind dem Herzen näher. –

Die Violine ahmet durch die geschleiften Töne die Blaseninstrumente nach, und macht gleichsam den Uebergang zwischen ihnen, und den mit immer wiederhohlten Unterbrechungen vibrirenden Seiteninstrumenten.

Daß durch gleiche Takttheile Ernst und Würde – durch ungleiche lebhafte Empfindungen – durch drei oder vier kurze Töne zwischen zwei längern, Frölichkeit – durch einen oder zwei kurze Töne vor einem langen Wildheit, Ungestüm – durch Hartknopfs Gesellenjahre das Schwerfällige ausgedruckt wird – wie geht das zu? Worin liegt hier die Aehnlichkeit zwischen den Zeichen und der bezeichneten Sache?

Wer das herausbringt, der ist im Stande ein Alphabet der Empfindungssprache zu verfertigen, woraus sich tausend herrliche Werke zusammen setzen lassen. – Ist nicht die Musik der Sterblichen eine Kinderklapper, sobald sie sich[134] nicht an die große Natur hält, sobald sie die nicht nachahmt?

Musik und Astronomie war Hartknopfen nahe miteinander verknüpft – Er lehrte mich in jener Nacht einen Theil der Astronomie bloß durch die unnachahmlichen Töne seiner Flöte – die eines Kenners Ohren gewiß würden beleidigt haben, weil sie sogar einfach waren.

Eigentlich geschahe dieß aber nur, well er das Klavier nicht zur Hand hatte, durch das lehrte er sonst die meisten Wissenschaften und vorzüglich auch Lebensweißheit und Moral.

Noch ein sehr merkwürdiger Gegenstand seiner Beobachtung, in Ansehung der Musik, waren die verschiedenen Veränderungen des Pulsschlages bei den verschiedenen Veränderungen der Leidenschaften.


Mit der Musik verband er aber auch

die Dichtkunst


im hohen Grade – und nahm seine Zuflucht oft zu ihr, wenn er kranke Seelen heilte. O dann flossen die Worte im metrischen Silbenfall, wie Balsam von seinen Lippen –[135]

Nicht, daß er so ein Wunderdichter gewesen wäre, der gleich aus dem Stegereif auf jeden Vorfall in Versen etwas Vortreffliches hätte sagen können – sondern alles, was er von andern vortrefflich gesagtes auswendig wußte, hatte er sich in seiner Seele so gemerkt, daß er es immer zur rechten Zeit in Bereitschaft hatte. –

Und so wie fleißigen Bibellesern manchmal ein auswendig gelernter Spruch, gerade zur rechten Zeit einfällt, wo er ihnen, mitten in der Verzweiflung Trost und neuen Muth einflößt – so brauchte Hartknopf auch die Dichtkunst, wozu sie eigentlich da ist, zur Veredlung und Erhebung des Geistes, zur Beruhigung der Leidenschaften – sie diente ihm oft nach vielen mißlungenen Versuchen zu einer heilsamen Seelenarzenei, wo alles andre fehlschlug. –

Darum war auch unter den Alten Horaz sein Lieblingsdichter, weil er mit wohl abgemeßnen, reizenden Silbenfall den rechten Takt des Lebens lehrt – und sein Lieblinsgedicht unter den Neuern war – Wielands Musarion.

Hartknopf machte zwar selbst auch Verse – allein er that es nur, um irgend eine Pflicht zu[136] erfüllen, wie Sokrates einst kurz vor seinem Tode sich noch durch den Genius, der ihm immer zur Seite war, gedrungen fühlte, einige Aesopische Fabeln in Verse zu bringen.

Seine größte Stärke aber bestand in der Deklamation; diese hatte er so in seiner Gewalt, daß er sich des Fremden, was er vorlaß, gleichsam bemächtigte, und es sich zu eigen machte.

Es war ihm auch im Grunde nichts fremd, was irgend ein unverfälschtes Produkt des Geistes war – sondern so wie die Strahlen der Sonne ein gemeinschaftliches Gut sind, dessen sich alle Sterblichen freuen, so schienen ihm auch die Strahlen des Geistes, sie mögen sich nun ausbreiten, wie und wo sie wollen, ein gemeinschaftliches Gut denkender und vernünftiger Wesen zu seyn, dessen sie alle ohne Rückhalt froh werden sollen – Dieser Gedanke machte, daß Hartknopf auch nie einen Funken von Neid empfand, so oft er etwas las, was ihm Bewunderung und Erstaunen einflößte, indem er sich nicht zutrauere, daß er es selbst würde haben hervorbringen können.[137]

Er nahm demohngeachtet an der Ehre des menschlichen Geistes Theil, und vergaß, wie ein achter Republikaner, sein eignes Individuum, in der Vorstellung von der großen Geisterrepublik, mit welcher verbunden er nur sich selber schätzte, und seiner eignen Existenz einen Werth beilegte.

Denn unter allen sogenannten philosophischen Systemen, war ihm das der Egoisten das abgeschmackteste von der Welt – ob er gleich als Knabe einigemal Anfälle von dieser subtilen Raserei gehabt hatte – da es ihm einfiel, alle die Wesen ausser ihm, wären eigentlich nur Traumbilder, die in ihm da wären, und er wäre das einzige einsame Wesen in dieser weiten öden Welt; die denn, wie eine Schaumblase mit ihm aufgestiegen sey, und auch mit ihm wieder in ihr Nichts versinken würde.

Wie gesagt, er hatte nur als Knabe diese Anfälle, und da er ein Mann geworden war, dachte er wie ein Mann, und drückte seinem Nachbar freundschaftlich die Hand, und blickte seinem Freunde getrost ins Auge, ohne sie nur eine Minute[138] lang für Traumbilder oder Wesen seiner Einbildungskraft zu halten.

Ich begreife auch kaum, wie man den Gedanken des eigentlichen Egoismus nur einen Augenblick lang, ohne sich der Raserei zu nähern, ertragen kann. – Es ist das allerfürchterlichste und schrecklichste; ohne Hülfe, ohne Rettung bin ich mir selbst, als einem sich verzehrenden, sich selbst mit tausend Gefahren und dem Untergang drohenden Ungeheuer, überlassen. – Ich kann mir selbst nicht mehr in den Arm eines Freundes entfliehen – denn der Arm des Freundes ist eine Täuschung meiner Sinne, ein mir verhaßtes Selbst – und doch – wer rettet mich von den fürchterlichen Gedanken? – Doch kann ich in alle Ewigkeit von dem wirklichen Daseyn irgend eines Wesens überzeugt werden, so wie ich es von meinem eignen bin – keinen Augenblick lang kann ich das Ich eines Wesens ausser mir seyn – wie kann ich da wissen, ob dieß Wesen auch ein Ich ist, ob es je den Gedanken Ich gehabt hat –

Das waren die Anfälle von Egoismus in Hartknopfs Knabenalter – Seit jenem feierlichen[139] Tage aber, da er sich in die große Republik der Geister aufgenommen fühlte, verschwanden alle diese Zweifel, wie Nebel vor der Sonne – Es war ein Geist, der durch ihn, und den Emeritus, und Knapp auf die Menschen wirkte, eine reine Flamme, die den Erdkreis erleuchtet, aber verschieden in tausend Farben und Gestalten der Dinge, die unter ihrem wohlthätigen ununterbrochnen Einfluß erst Bildung und Form erhalten –

Diesen seinen eignen Geist fand Hartknopf im Emeritus, und dem Gastwirth Knapp, nicht aber in Hagebuck und Küster wieder – diese reine Flamme, die ihn selbst durchglühte, grüßte er in Wielands Musarion, in Homers Gesängen, in Horazens Briefen, in Rousseau's Emil, in Mendelsohns Phädon, und würde sie in Lessings Nathan den Weisen gegrüßt haben, hätte er ihn je gelesen. – In Youngs Nachtgedanken hatte er sie nicht gefunden; auch würde er sie nicht in dem Buche über Irrthümer und Wahrheit gefunden haben, wenn es ihm je zu Gesichte gekommen wäre.[140]

Dieß Wiederfinden desselben Geistes, der ihn durchwehte, in andern, war der erhabne Egoismus zu welchem er sich emporschwang, der die Seele seiner Freundschaft war, und ihm zugleich seine Unsterblichkeit sichern half: denn er fühlte, daß er sich nie selbst verlieren konnte – Er fand sich wieder, wohin er blickte.

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Eine Allegorie, Berlin 1786, S. 113-141.
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