37.
Die Auferstehung; eine Cantate

[123] Recitativ.


Als Christus in die Hölle niederstieg,

Die Geister sich in tausend Schröckgestalten

Vor seinem stillen Antlitz ballten

Und um ihn keiften, knirschten, schalten,

Daß Berg und Thal des Abgrunds von dem Krieg

Der Dissonanzen wiederhallten,

Und er zu allem – göttlich schwieg:

Da schlug ein Donnerschlag auf einmal in die Tiefen.


Arioso.


Es ist geschehn – Gott du bist frey,

Und aller Himmel Himmel riefen:

Die letzte Prüfung ist vorbey,

Der Gott ist frey, der Gott ist frey!


Recitativ.


Und er stieg auf, den Himmel in dem Auge,

Das itzt das erstemal von einer Thräne rann,

Von einer Wollust-Thräne – Sah mit diesem Auge

Die starrenden Gefilde wieder an,

Die seiner Augen Blut getrunken,

Die mit ihm in den Tod gesunken.

Itzt blühn sie wieder auf von ihm erschaffen, lachen,

Und jauchzen Himmel an, und muthig mischen sie

Ihr Lustgeschrey, vollkommen sie zu machen,

Zur grossen Sphären-Harmonie.


[124] Chor der Sphären.


Aria.


Komm herauf, du Sohn der Erde,

Komm aus ihrem Schoos ans Licht,

Daß sie durch dein Angesicht

Ein beglückter Himmel werde,


Die durch deinen Tod erschüttert,

Der Zernichtung zugezittert,

Aber itzt durch dich belebt

Ew'gem Glück entgegen bebt.


Da Capo.


Recitativ.


Wie Mütter, die, was sie mit Schmerz geboren,

Und mühsam groß gepflegt, in einem Augenblick verloren,

Ins Grab hinunter sehn, wo das, was sie vergnügt,

Wo ihres Lebens ganze Hoffnung liegt:

So, und bedauernswerther noch,

Für ein gedoppelt Leben, Gott! getäuscht

Und ihren Gott in ihren Armen, stehn die Jünger;

Mit mehr als Mutterjammer sehen sie

Starr auf den Boden; staunen sie

Gedankenlos mit unterbrochenen Herzensschlägen,

Ach! ihrem Untergang entgegen –

Als plötzlich eine Ahndung – Gott er lebt –

Du lebst mein Gott – sich wie ein Blitz erhebt

In ihrer aller Herzen, und sie alle

Ihn wie er lebet vor sich stehn

Zu sehen wähnen – und dann sehn. –


[125] Aria.


Ja ich bins; ich bins – und Friede

Ew'ger Friede sey mit euch!

Kommt, des langen Harrens müde,

Kommt, nehmt Theil an meinem Reich.

Ja ich bins, ich bin es; Friede,

Ew'ger Friede sey mit euch!

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 123-126.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon