Der Opferpriester

[246] Ein Altarsgesang, der Abreise eines Freundes geheiligt.


Im Mai 1765.


– – Πολλα μοι ὑπ᾽

ἀγκωνος ὠκεα βελη

ἐνδον ἐντι φαρετρας

φωναντα συνετοισιν᾽ ἐς

δε το παν ἑρμηνεων

χατιζει.

Pind. Olymp. II.


Bringt mir Kränze zum Fest! zum Fest, Ihr Knaben! des Frühlings

Erste Keime! zum Fest den immergrünenden Lorbeer!

Denn hier bau' ich an heiliger Grenz' den Altar der Feier,

Um vor seinem Gesicht den Freund zu küssen und letzen,

Der ins Antlitz uns segnet und flieht. Dem Fliehenden sollen

Festliche Lieder schallen und Weihrauchsdüfte nachsegnen!


Und ich kränze den Altar mit heiligen Priesterhänden!

Der uns Frühling erschuf, er ist's, der Kränze verdienet;

Denn er pflanzte der Wüste zuerst den schwangeren Keim ein:

Siehe, da sproßte der Keim, von Sonnenstrahlen begossen,

Und brach Blüthen hervor; drum krönen Blüthen den Altar,

Rings um den Altar sind Blumen gestreut, dem Schöpfer des Frühlings!


Und nun setz' ich sein Bild mit heiligen Priesterhänden

Vor die Götter! Sie sehen das Bild und segnen's von oben;

Denn sie erhören Gebet des Opferers, ihres geheimen,

Der, das Auge verhüllt, vor ihre Kammern des Raths tritt,

Faßt des Altars Hörner und bebt und siehet Gesichte.

Sieh! drum glänzet das Bild. Ich küss' es! Salbet's, Ihr Götter!
[247]

Denn schon streu' ich Weihrauch mit heiligen Priesterhänden;

Bebend murmeln die Worte, die Götter herunterzwingen –

Heiliges Sprechen im Kreis der Allmacht! – Weihet, Ihr Knaben!

Schweigt! – Ich schwöre! – – Der Schwur ist erfüllt! Es brechen die Himmel,

Auf dem Altar ruhn Wolken des Donners! Die Götter sind auf mir!

Und dort fliegt sein Wagen! – Ich feir'! Auf! singet ihm, Knaben!


Chor der Knaben.


(Erste Strophe.)


Geh! Dich lohnet Dein Schweiß! Siehe, wir streuen Dir

Kränz' und Zweige zum Weg! Fahr über Blumen hin,

Schön mit Staube gesalbet!

Fleuch in der Ruhe offenen Arm!


Der Priester.


(Antistrophe.)


Geh! So wie die wandelnden Wolken des hohen Olympus

Itzt beschatten den Altar, so deck' die Säule Schechina

Balsamtriefend Dein Haupt und sende Boten des Zephyrs,

Deiner männlichen Stirn die Tropfen zu Lorbeer zu kühlen.


Chor.


(Zweite Strophe.)


Freunde, segnet ihm nach! denn er entreißt sich Euch,

Den der theurere Arm wartender Seinen nimmt;

Seiner Jugend Gespielen

Hoffen in ihm die Jugend zurück.


Der Opferer.


(Antistrophe.)


Geh! So wie der Becher hier prangt, mit Epheu umwunden,

Den ich den Göttern hinschütte für ihn, so wird er wohnen,

Rings umpflanzt von Mutter und Freunden, so blühet im Kreise

Seiner Gespielen hervor der nektarquillende Palmbaum.


Chor.


(Dritte Strophe.)


Blüh! Wir jubeln Dir nach! jubelnd empfängt ein Kreis

Lauter Jünglinge Dich, denen der Busen klopft,

Daß Du grünende Knospen

Oeffnest, Früchte dem Vaterland!


Der Opferpriester.


(Antistrophe.)


Blüh! Dies grünende Opfer verzehren die Flammen; doch immer

Grünt Dein Nam' im Segen bei uns; noch hinter Dir flammen

Dir lobwürdige Thaten, wie dieses Feuer hier lodert,

Da der brennende Lorbeer es stärkt und heilige Winde.


[248] Chor.


(Vierte Strophe.)


Ach, schon ist er entflohn! Hören die Götter je

Ihrer Knaben Gebet, siehe, so krönt ihn Heil,

Und in unsere Arme

Kehrt des Entflohnen Elisa zurück.


Der Opferer.


(Antistrophe.)


Rauch des Opfers – er steigt! und theilt die Wolken und nahet

Sich den Thronen! Feuer fällt nieder! Angenommen,

Angenommen sind Opfer und Lieder. Ihn segnen die Götter,

Pallas krönet sein Haupt, und ihm Gespielen sind Musen!


Schluß-Epode.


Der Opferer.


Drum singt! Ich opferte Heil, das Opfer hat Sieg,

Und Weihrauch danke dem Zeus!


Die Knaben.


Triumph! Wir fangen ein Lied, der Olymp erschallt',

Er hörte Dich! Feire, Gesang!


Der Opferer.


Der hier in Fernen mich rief, dem dringet mein Lied

Zum Vaterlande noch nach;

In meine Arme zurück kehrt wieder ein Freund!


Beide.


Heil ihm! Heil unser Gesang!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 246-249.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Aus Den Ideen Zur Philosophie Der Geschichte Der Menschheit: Nebst Vermischten Gedichten (Hardback) - Common
Aus Den Ideen Zur Philosophie Der Geschichte Der Menschheit: Nebst Vermischten Gedichten (Paperback) - Common
Gedichte (German Edition)

Buchempfehlung

Christen, Ada

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon