Großmutter La Roche legt ihrer Enkelin ein Band am Geburtstag der Mutter Bertha Lützow, ihrer Tochter, in die Hand

[335] April 1816


Großmutter will

Ich soll dir singen,

Doch ich schweig' still,

's möcht' übel klingen.[335]


Großmutter will

Daß ich dir dichte

Ich tue es still

Blickend zum Lichte.


Großmutter will

Daß ich dir spende,

Was sie mir still

Legt in die Hände.


Großmutter will

Dich durch mich freuen,

Sie fühlt sich still

In mir erneuen.


Großmutter will

Ihr Herz dir geben,

Fühl' du es still

In meinem beben.


Großmutter will

Ach Gott weiß was

Küß mich ganz still

Ich glaub 's ist das.


Großmutter will,

Küß Vater tüchtig,

Hält er dir still,

So ist es richtig.


Großmutter will

Viel Liebs und Gutes

Ich denke still

Mensch will's, Gott tut es.


Großmutter will,

Was Gottes Willen,

Ich fühle still,

Er kann uns stillen.[336]


Mich, dich und Sie

Und all die frühen

Die nicht mehr hie

Die dort schon blühen.


Aus deiner Brust

Nährt um die Wette

Mit Mutterlust

Mich diese Kette.


So fühle ich

Mütterlich alle

Selbst Eva dich

Nach deinem Falle.


Äpfelchen rot

Das sie genossen

Gab uns den Tod

Brach uns die Sprossen.


Höher hinauf

Geht's drum nicht weiter,

Doch stell' ich drauf

Die Himmelsleiter.


Mutter und Kind

Seh' ich da weilen

Die ohne Sünd'

Die Lücke heilen.


Kind reicht die Hand

Mir in der Taufe,

Auf daß ein Band

Ewiglich laufe.


So binde ich

Durch Gottes Werde,

An Himmel dich

Und an die Erde.[337]


Solch ein Band schwebt

In meinen Händen

Gottes Hand webt

An beiden Enden.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 335-338.
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