Sag, wo kommst du Sänger her

[90] Sag, wo kommst du Sänger her?

Den Apostel führ' ich ein.

Sag, was will denn seine Lehr?

Dies zu fassen bin nicht rein.

Bist doch klug wie keiner hier?

König hör': das sagt nicht viel.

Bist als Kämpfer über mir?

Herr, das ist ein kleines Ziel.

Sänger sprich wie alt du bist?

Weiß ich es doch selber nicht.

Sage der Vergnügung List?

Ich bewahr' mein Lebenslicht.

Sprich, wer hat es dir gebracht?

Weiber drei, alt, unbekannt,

In der großen Mitternacht,

Die mich in die Welt gesandt.

Eh du dieses Licht verbrannt,

Sprach die Eine, die's mir bot,

Es ist Nornengeist genannt,

Bist du, Kindlein, auch nicht todt;

Angezündet hab' ich's nie,

Nimmer habe ich gelebt,

Andrer Thaten, andrer Müh,

Mein Gesang mit Lust erhebt.

Sänger, mir verkauf dein Licht,

Ich bewahr' es treulich dir,

Gebe dir ein Goldgewicht

Wie es keiner giebt, dafür.

Sieh dies Gold und es versuch,

Nirgend giebt es mehr solch Gold!

Zwar es ruht darauf ein Fluch,

Denn es gab der Schande Sold.[91]

Dieses goldne Würfelpaar

Hat verloost des Herren Kleid,

Der für uns gekommen war

Und gelitten alles Leid.

Nun so nimm von diesem Wein,

Nimm von diesem Brode an,

Denn du magst wohl heilig sein

Und du bist ein guter Mann.

Nein, ein andrer giebt mir Wein,

Nein, ein andrer giebt mir Brod,

Wenn mein Mund ganz nüchtern rein,

Geh ich also in den Tod.

Der Apostel bringt sein Blut,

Bringt des Herren Fleisch dazu,

König, lege ab die Wuth,

Wirf dich nieder dort in Ruh.

Mit dem Kelche kam er her,

Brach mit seiner Hand das Brod,

Und so schuf er neue Lehr'

In der alten Heiden Noth.

Seht den Tisch des Herrn bereit,

Doch es fehlet noch das Licht,

Aus ist alter Sänger Zeit,

Und der alte Sänger spricht:

Altes Feuer werde frei,

Alte Liebe frei heraus,

Daß ich hier ein Zeuge sei,

Leuchte ich in diesem Haus.

Also zündet er sein Licht,

Bringt es zu dem Abendmahl

Und empfängt was ihm gebricht,

Christi Leib und Gnadenmahl.

Also hatte er gelebt,

Selig sank er in den Tod,[92]

Neues Blut ihn neu belebt,

Neuen Leib giebt ihm das Brod,

Das Gespinnst der Nornendrei

Brennt wie Spinnweb an dem Licht,

Altes Leben ist nun frei,

Und vom Schicksal keiner spricht.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Werke. Band 22: Gedichte, Teil 1, Bern 1970, S. 90-93.
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